Lokalmatadoren haben es oft schwer, im Ansehen des Publikums die letzten Stufen der Karriereleiter zu erklimmen. Mit der Aufnahme in die Serie Meisterinterpreten in Zürich scheint es Oliver Schnyder jetzt geschafft zu haben.
Ohne den Status des Meisterinterpreten im Geringsten in Frage stellen zu wollen, was macht denn einen Künstler zu einem Meisterinterpreten? Meines Erachtens zählt dafür weder die Größe der Diskographie, die Anzahl bestrittener oder gewonnener Wettbewerbe, noch die Präsenz in den sozialen Medien oder die Größe der Fangemeinde. Es sind vielmehr die Qualitäten des Spiels, die hier zum Tragen kommen.
Dazu zählt für mich, ob die Intentionen des Komponisten angemessen umgesetzt werden. Können, künstlerische Meisterschaft und Reife sind unerlässlich, Perfektion hingegen nicht. Ein Musiker muss aber imstande sein, das Publikum anzusprechen, es zu berühren, und dazu bedarf es einer persönlichen Aussage: seelenloses Imitieren bestehender oder vergangener Interpretationen macht keinen Meister. Darüber hinaus gehört die Heranbildung eines Personalstils mit dazu – nicht aber, dass ich als Zuhörer mit allen Aspekten einer Darbietung auch im Geiste übereinstimmen muss.
Oliver Schnyders technische Fähigkeiten sind unbestritten und zeugen von seriöser und gründlicher Vorbereitung. Der Anlass zu den obenstehenden Betrachtungen war primär, dass mir im Verlauf des Abends bewusst ward, dass der Pianist neben manueller Meisterschaft und der Fähigkeit, die Herzen der Hörer anzurühren, durchaus zu einem eigenen Stil gefunden hat. Dieser zog sich wie ein roter Faden durch den Abend.
Schnyder hat eine Vorliebe für zügige, wenn nicht rasche Tempi, die er dank makelloser Technik fraglos im Griff hat; Probleme der Koordination der Hände und Stimmen scheint es nicht zu geben. Der Pianist gestaltet sorgfältig, spielt dynamisch sehr differenziert, mit feinen Abstufungen vor allem im Bereich des Leisen, Subtilen, Gesanglichen. Er versteht es, die Melodien zum Singen zu bringen, ohne dabei Nebenstimmen zu vernachlässigen. Sehr gut finde ich die Phrasierung, die Gestaltung großer Bögen und Steigerungen, die differenzierte Agogik. Nie ist sein Anschlag grob; auf Tastendonner wartet man vergebens. Er versucht nicht, die Dynamik des Flügels bis zur Grenze auszureizen; eher würde ich sein Spiel als elegant bezeichnen.
Zu den Bereichen, in denen ich persönlich andere Vorlieben habe, gehört, dass durch schnelle Tempi rasche Figuren gelegentlich etwas verschliffen werden. Geschwindigkeit geht auf Kosten der Artikulation im Bereich der Motivik; anderseits wird damit eine (zu) starke Zergliederung des Textes vermieden.
Aller Anfang ist schwer; so erklang die Wiederholung der Exposition des ersten Satzes von Beethovens Op.14 Nr.1 wesentlich klarer strukturiert und artikuliert als der erste Durchgang. In der Durchführung des gleichen Satzes hatte ich gelegentlich das Gefühl, dass Oliver Schnyder mit einer Extragabe an Haltepedal die vielleicht etwas stark gedämpfte Akustik, den leichten Mangel an unterstützender Resonanz des großen Saals zu kompensieren suchte; damit aber schien sich der Pianist auf den sehr gut besetzten Saal und die Akustik eingestellt zu haben.