Der 11. November mit dem hiesigen Beginn der Narrenzeit gerade vergangen, gab das Ensemble Les Épopées unter Gründer und Leiter Stéphane Fuget am Dienstag sein Debüt am Konzerthaus Dortmund mit Claudio Monteverdis L’Orfeo, der zur Karnevalsattraktion des Gonzaga-Hofs in Mantua am 24. Februar 1607 uraufgeführt worden war. Dortmund ist dabei fast zwangsläufig eine Station auf der momentanen Tournee der Gruppe zur Live-Vorstellung ihrer Aufnahme dieser revolutionären Oper geworden, deren Markterscheinung diesen Juni und Produktion vorletztes bis letztes Jahr nach Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria stattfand. Denn in der Rolle Orfeos agierte Tenor Julian Prégardien, dem im Konzerthaus dieser Saison eine Handvoll Konzerte gewidmet sind.

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Julian Prégardien und Stéphane Fuget
© Petra Coddington

Obgleich Prégardien mit breitem Register und vor allem exzellenten, licht-offenen, süßlichen hohen Pianostellen in grundierend reiner Form besonders im apollinischen Einlass- und Einschläferungsgesang bei Caronte und in durchaus recht anrührender, trauergeneigter Abschiedsode auf Lebensgemahlin Euridice sowie im Großen und Ganzen passender Stilistik samt ordentlicher Trilli glänzen konnte, wollte bei diesem Orfeo nicht wirklich der Funke überspringen. Zu oft schien fehlende, bei aller Professionalität auch nicht herbeizuzaubernde, italienische Farbigkeit und basistemperierte wie identifikatorische Tonalität eine Distanz aufrecht zu erhalten, während zudem dies ausgleichen wollende, sonst Prégardiens Stärke ausmachende Kontraste nicht überzeugten.

Denn jene emotionale Zeichen der Verzweiflung und Wut ergingen sich in derben, penetranten Schreien, die jenseits einer Berechtigungslogik des Stilmittels und lautmalerischer Erweiterung Orfeos alleiniger Schönklangpersönlichkeit – wie andere zahlreich zu tiefen Einfindungsansätze – intonationstechnisch aus dem Ruder liefen. Apropos Ruder: Bevor Orfeo den Styx und seinen von Luigi De Donato, auch als durch fein-säuberliche Proserpinabitte Johanna Beiers leicht erweichlichte, bestimmte Unterweltautorität Plutone, ganz solide wachzornig-knochentrockenen Fährmann Caronte erreichte, begleitete ihn La Speranza. Isabelle Druet vermochte, die personifizierte Allegorienfigur, wie zuvor La Messaggiera in einfühlsam-vorsichtiger Bestürzensanschaulichkeit, mit vor allem in der Tiefe wie gleichsam in vokaler Artikulation würdiger und damit direktem, aufrichtigem Beistandsvertrauen auszustatten.

Julian Prégardien © Petra Coddington
Julian Prégardien
© Petra Coddington

Auch Gwendoline Blondeel absolvierte ihre Partien als entzückende wie allerdings zugleich zurückhaltende, den Ernst des Anwendungsfalls ankündigende La Musica und bodenständig-ungläubige Euridice gewohnt und angenehm souverän. Am erfreulichsten blieb das energetische, elegant-kräftige Timbre Cyril Auvitys so verständlichen, fülligen, stilsicheren, registerstarken und italiatemperamentösen Tenors haften, der seinen baritonalen Hirtenkollegen Vlad Crosman in den Schatten stellte und als Apollo zum Finale Orfeo in väterlicher, zuversichtlich-beiratender Mustergü(l)tigkeit ins Himmelslicht lockte.

Er wie Crosman, mit Paul Figuier und Samuel Guiban alle Solisten exklusive Prégardien (bis auf den Schlusschor) sollten überdies in ökonomischem Pragmatismus die im Vergleich zur Aufnahme kleinstmöglichen Cori bilden. Leider die zweite, noch größere Betrübnis dieser Tourfassung, waren einerseits die individuellen, sprich inhomogenen, Heraushörbarkeiten durch dynamisch unsachgemäße Einsätze und Überhänge störend; andererseits – und das doch wirklich, angesichts der eigentlichen Flexibilitätsmöglichkeiten, schade – zu hölzern und hinsichtlich Freudentanz oder Wehklage bedauerlicherweise eher erschreckend austauschbar.

Von ganz anderer Qualität dazu das ebenfalls im Verhältnis zur CD besetzungsmäßig etwas ausgedünnte Instrumentale von Les Épopées, das mit einigen Bogenphrasierungen der hohen Streicher neben großer Militärtrommel (und Tambourin), dem Basso und dem Bläserconsort aus Cornetti, Sackbuts (unter ihnen Tenorposaunist Cyril Bernhard sogar mit kurzen vokalen Echos in Orfeos letztem Lamento) und Sopran(ino)blockflöten einen leicht französischen Touch aufwies.

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Solist*innen
© Petra Coddington

Wobei dieser – natürlich in heutiger und auch Fugets absolut gängiger, nicht anders realisierbarer Praxis der Verwendung der Instrumente nach Violin- statt älterer Violen-Bauart der da braccio-Geräte, namenstechnisch nicht zu vermengen, aber damals in einer Gruppe mit den Violen da gamba – nicht aus Monteverdis Sonderbezeichnung „alla francese“, sondern einfach genereller Ensembleprovinienz herrührte. Und der allgemein dann in italienischer Verzierens-, Rhythmus- sowie Dynamik- und bassgestützter Theatraliklust den mangelnden Affekt der Chöre vergegensätzlichte.

Ein exquisites Händchen hatte Fuget insbesondere – dort nochmals kongruent zu Orfeos Vokalem – für die fast flüsternden Wiedergaben der zärtlichen Beileids- und schicksalsbeladenen Abschiedsstimmung. Diese dirigierte Fuget, wie fast ausnahmslos, griff also nur ganz selten zum eigens für ihn doppelt aufgebauten Claviorganum, das er gemeinsam mit dem Regal das Continuo wie die Kollegin an Chitarrone (auch zeitspezifisch italienische Ceterone) höchst präzise und freudig anführende Marie van Rhijn anvertraute. Wahrlich die Musica-bedachten Lyrameriten verdiente sich außerdem die Doppelharfe, die sich in Orfeos Styx-Gesang mit ausdrucksvoller Solohingabe betätigte.

Insgesamt eine L‘Orfeo-Interpretation, die mit bewährten Höhen, aber nun zugleich misslichen Schatten nicht an Les Épopées‘ formidablen Ulisse heranreichte.

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