Das letzte Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko vor der großen Asien-Tournee eröffnete Mozarts frühe A-Dur-Symphonie. Sie hebt mit einem großen und kühnen Gedanken an, der bei seiner Wiederholung durch eine Engführung belebt wird. Das kann schulmeisterlich klingen, doch das klein besetzte Orchester vermied alles trocken Gelehrte und verlebendigte die spielerischen Elemente dieses Beginns in kammermusikalischer Feinarbeit. Das Grazile stand durchweg im Vordergrund, um die Symphonie nicht unter dem Gewicht zu erdrücken, das den beiden anderen Werken des Abends noch aufzubürden war. Das Thema des Andante-Satzes ist vom doppelt punktierten Rhythmus geprägt, doch auch hier trumpfte nichts auf, sondern bereitete allein der Rokoko-Serenade im Schlusssatz die Bahn, die sich zärtlicher wohl nicht vortragen lässt.

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker © Frederike van der Straeten
Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Frederike van der Straeten

Auch das Menuett-Thema hat punktierte Noten, so dass diese Musik nicht tanzbar ist. Behutsam ließ Petrenko ein Charakterstück entstehen und ließ energisch zu Beginn des Finales die Mannheimer Rakete aufsteigen. Mit großer Spiellust warfen die Streicher in der Durchführung einander das Kopfmotiv des Hauptthemas zu. Herrisch beendete das Unisono der Coda alle Lust am imitatorischen Spiel. Diese Grenzziehung wirkte programmatisch auf das Konzert; denn derart unbeschwerte Musizierlust wie bisher sollte es an diesem Abend nicht mehr zu hören geben.

Der Sprung um knapp 150 Jahre Musikgeschichte nach vorne führte zu Bergs Drei Orchesterstücken. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Sie begannen als Werden aus dem Nichts; ein kaum hörbares Geflecht aus Schlagzeugklängen ohne Tonhöhe führte zu Motivsplittern in den Pauken und Flatterzungen in den Flöten. Petrenko ließ das Orchester diese Gestalten aufbauen, trieb es unter drohenden Gesten zu einem ersten Kulminationspunkt und ließ das Präludium fröstelnd zerfallen. Dann folgte der Reigen, in dem Petrenko, ganz Bergs Intention folgend, den Reigen und den Walzer ins Albtraumhafte beförderte. Gespenstisch ließ er kurz vor Satzende eine regelrechte Ostinato-Maschinerie abspulen, bevor die Motive von Reigen und Walzer gleichzeitig ineinander verschlungen erklangen. Im letzten Satz, dem Marsch, schien es, als begönnen drei Märsche gleichzeitig, in denen eigentlich aufeinanderfolgende Episoden nun wie in die Vertikale umgeklappt worden wären. Petrenko entlockte seinem Orchester aber nicht allein die Töne von Gewalt und Zerstörung, sondern traf durchaus die sarkastischen Pointen, die in anderen Aufführungen zumeist nicht zugelassen werden. So ließ er z. B. die Klarinetten und das Englischhorn trillernd und quäkend in die Motive einfallen und gestattete der Oboe, eine Trompete nachzuahmen.

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Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Frederike van der Straeten

Nach dieser Konfrontation von musikalischer Eleganz und Dekonstruktion erklang nach der Pause eine Vierte Symphonie von Brahms, wie sie herber und illusionsloser wohl kaum zu hören ist. Während im Kopfsatz unter dem Grimm manches verloren ging – so wurde z. B. der Kanon im Zentrum der Durchführung nur heftig im Ausdruck, aber nicht streng in der Stimmführung gespielt –, wurde Petrenkos Konzept von Satz zu Satz überzeugender getroffen. Im Andante durften sich zwar noch Melodien aussingen und am Ende zauberte das Orchester sogar einen rätselhaften Schluss in den Saal, doch die Polka des dritten Satzes kannte schon keine heiteren Töne mehr – da half auch das Geklingel der Triangel nichts. Höhepunkt war die Chaconne des Finales. Ausdrücklich altmeisterlich ließ Petrenko den Satz beginnen. Doch über den Mixtursatz, das Flötensolo – das wohl beredter nicht gespielt werden kann, als von Sébastian Jacot – und die Bläserklänge löste sich die Aufführung von aller Formästhetik. Petrenko entschloss sich dazu, die zweite Satzhälfte ungleich ungestümer vorzutragen als die erste. Den Richtungswechsel zeigte eine von den Bläsern deutlich intonierte fallende Tonleiter an. Triumphal feierte das Orchester die Auflösung des Themas bis am Ende eine aufsteigende Tonleiter einen höchst zweifelhaften Sieg errungen hat. In diesem Satz gelang es, aus dem formversessenden Symphoniesatz ein hochgradig ausdrucksstarkes Stück Musik zu gestalten.

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