Es ist die Crème de la Crème der Künstlerinnen und Künstler, die am Verbier Festival aus- und eingehen. Was aber im Vergleich mit anderen Festivals fehlt, sind die grossen internationalen Orchester. Stattdessen gibt es in Verbier drei Ausbildungs-Ensemble, nämlich das Verbier Festival Junior Orchestra, das Verbier Festival Chamber Orchestra und das Verbier Festival Orchestra. Letzteres steht jungen Musikerinnen und Musikern im Alter zwischen 18 und 28 Jahren offen.

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Klaus Mäkelä
© Agnieszka Biolik

Angeleitet von erfahrenen Coaches, die verschiedenen europäischen und amerikanischen Spitzenorchestern angehören, studieren die jungen Musikstudierenden die Programme ein, die am Festival aufgeführt werden. Chefdirigent des VFO war seit 2018 Valery Gergiev. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges beendete das Verbier Festivals im vergangenen Frühjahr seine Zusammenarbeit mit dem Putin-Vertrauten. Die Stelle des Chefdirigenten ist seither unbesetzt. Diesen Sommer sind es verschiedene Pultstars wie Zubin Mehta oder Daniele Gatti, die mit dem Festival-Orchester arbeiten. 

Auch Klaus Mäkelä, Jahrgang 1996, ist einer von ihnen. Der finnische Senkrechtstarter steht zurzeit dem Orchestre de Paris vor und wird 2027 die Stelle als Chefdirigent des Concertgebouw Orchestra antreten. Im Konzert in der Salle des Combins von Verbier zeigte sich, dass Mäkelä nicht nur mit den Arrivierten umgehen kann, sondern auch einen direkten Draht zu den Jungen besitzt. Man spürte es bereits in Sergej Rachmaninows Zweitem Klavierkonzert mit dem Solisten Mikhail Pletnev, besonders aber beim symphonischen Hauptstück, der Alpensinfonie von Richard Strauss. 

Pletnev, ein hochdekorierter Pianist, Dirigent und gelegentlich auch Komponist, ist als Interpret eine rätselhafte, introvertierte Erscheinung. Die berühmten solistischen Einleitungsakkorde des Klaviers zu Beginn des Rachmaninow-Konzerts schwollen zwar auch bei ihm mächtig an, aber in Pletnevs Gesicht war fast keine Regung und in seiner Körperhaltung fast keine Spannung zu erkennen. Im weiteren Verlauf des Satzes zeigte sich, dass der russische Pianist kein draufgängerischer Dramatiker, sondern ein sensibler Lyriker ist. Warum er in Verbier unbedingt das extravertierte Zweite Konzert Rachmaninows spielen wollte (wie alle anderen Pianisten auch), war nicht zu ergründen. Mäkelä passte sich, so weit er konnte, der Lesart Pletnevs an, aber an gewissen Stellen brannte das Temperament mit ihm dennoch durch. Beispielsweise beim kraftvollen Wiedereintritt des Hauptthemas nach der Durchführung, wo das Orchester den Solisten völlig überspielte. Man musste den langsamen Mittelsatz abwarten, um Pletnevs Interpretationsansatz zu verstehen: Das Thema der Flötistin und der Klarinettistin umspielte er zuerst mit den delikatesten Figuren, um es dann selber mit viel Rubato ganz zärtlich und entrückt vorzutragen. Ob einem diese Lesart gefällt, ist Geschmackssache.

Klaus Mäkelä mit dem Verbier Festival Orchestra © Agnieszka Biolik
Klaus Mäkelä mit dem Verbier Festival Orchestra
© Agnieszka Biolik

Die Stunde des Orchesters schlug dann in der Sinfonischen Dichtung Eine Alpensinfonie. Wo würde das deskriptive Werk besser passen als im Walliser Kurort Verbier, der ringsum von Bergen umgeben ist und wo auch das Matterhorn und der Montblanc nicht weit entfernt sind? Strauss hatte jedoch nicht einfach die musikalische Schilderung einer Bergbesteigung im Sinn, sondern schafft mit Auf- und Abstieg auch eine Parabel des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod. 

Der schwierige Anfang mit dem Geraune des Blechs geriet erstaunlich gut, aber natürlich war sofort klar, dass da nicht ein Philharmonisches Orchester am Werk war. Man könnte nun im Einzelnen viele Stellen aufzählen, die mehr oder weniger gelangen. Hervorragend besetzt waren die ersten Pulte der Bläser; stellvertretend sei da das wunderbare Oboensolo Auf dem Gipfel erwähnt. Bei Gewitter und Sturm legten sich die Musiker kräftig ins Zeug, insbesondere die Schlagzeuger hatten an dem Spektakel ihre helle Freude. Mäkelä erwies sich als charismatischer Animator, der das Orchester zu Höchstleistungen anspornte. Diese jugendliche Spielfreude war es denn auch, die das Publikum restlos begeisterte und die gewisse Unvollkommenheiten schnell vergessen machte.


Die Kosten von Thomas Schachers Pressereise (Zug und Hotel) wurden vom Verbier Festival übernommen.

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