Der politische Paukenschlag blieb aus: Im Unterschied zum Flandern-Festival hat das Lucerne Festival Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker nicht ausgeladen. In Gent war der israelische Dirigent, der nicht nur designierter Chef der Münchner, sondern auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist, zur Persona non grata erklärt worden. Die Begründung lautete, Shani habe sich zu wenig deutlich von der Politik Israels im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg distanziert. Das Konzert im Kultur- und Kongresszentrum Luzern dagegen ging planmäßig und ganz ungestört über die Bühne: keine Demonstrierenden vor dem Gebäude und keine sichtbar erhöhte Polizeipräsenz.

Der musikalische Paukenschlag ereignete sich aber drinnen im Saal des KKL. Mit vier Schlägen der Pauke auf demselben Ton beginnt das Violinkonzert in D-Dur, Op. 61 von Ludwig van Beethoven. Solistin war die in München lebende Geigerin Lisa Batiashvili. Die Ironie im aktuellen Zusammenhang: Eben vor einem Monat erhielt die Künstlerin für ihr Engagement gegen Krieg und Antisemitismus den Kaiser-Otto-Preis der Stadt Magdeburg.
Im Unterschied zu der extravertierten Julia Fischer, der temperamentvollen Janine Janson oder der exzentrischen Patricia Kopatchinskaja – alle in einem ähnlichen Alter – ist Batiashvili die Geerdete und Sensible. Beim Vortrag steht sie ruhig da und scheint mit sich selbst im Einklang zu sein. Die beiden Themen des ersten Satzes trägt sie zunächst unspektakulär vor und entfaltet sie dann mehr und mehr. Die Kulminationspunkte sind wirkungsvoll gesetzt, aber am meisten beeindruckt die Geigerin, wenn sie den Klang, wie in der Durchführung vor der Reprise, ganz zurücknehmen kann. Im Variationssatz sekundiert sie die Melodien der Holzbläser mit luftigen Begleitfiguren. Das hier angeschlagene langsame Tempo ist jedoch grenzwertig und droht den musikalischen Fluss gelegentlich zu stoppen. So atmet man als Hörer richtig auf, wenn die Solistin abschließenden Rondo das Thema in tänzerischer Art einführt und die darauffolgenden Läufe und Arpeggien in prickelnder Art ausbreitet.
Einen besonderen Leckerbissen bietet Batiashvili dadurch, dass sie im ersten und im dritten Satz anstelle der üblichen Kadenzen von Wolfgang Schneiderhan diejenigen von Alfred Schnittke einfügt. Diese entfernen sich in ihrem modernen Gestus recht weit von Beethoven, stehen ihm aber gleichzeitig nahe, indem sie die vier Paukenschläge der Eröffnung des Konzerts gewichtig zu Wort kommen lassen.
Schade, dass Shani im zweiten Teil des Abends diesen Faden nicht aufgegriffen hat und mit seinen Münchnern beispielsweise eine der neun Symphonien Schnittkes dargeboten hat. Stattdessen folgten Schuberts Unvollendete und Ausschnitte aus Wagners Tristan. Zur Demonstration der Qualitäten sowohl des Dirigenten als auch des Orchesters eigneten sich aber beide Kompositionen ausgezeichnet. Shani – vom Typ her ziemlich der Gegenentwurf zum wirbligen Klaus Mäkelä, der vor einigen Tagen mit dem Concertgebouw in Luzern gastierte – dirigiert ohne Taktstock, mit runden Armbewegungen und einladenden Gesten. Die Symphonie in h-Moll deutet er als „große Kiste“, wie um zu beweisen, dass Schubert den Vergleich mit Beethoven nicht zu scheuen braucht. Nach dem durchaus dramatischen Ansatz im Kopfsatz lässt der Dirigent das Andante con moto als einen berührenden Abschiedsgesang von überirdischer Serenität erklingen.
In voller Pracht entfalten sich die Münchner Philharmoniker im Vorspiel zum ersten Aufzug und Isoldens Liebestod aus Wagners Tristan und Isolde. Beide Teile folgen dem gleichen Muster von Steigerung bis zu einem gewaltigen Höhepunkt mit anschließender Beruhigung. Wie organisch diese Entwicklungen gelingen und wie abgestimmt die einzelnen Instrumentengruppen dabei einander überlappen, ist sensationell. Und dass sogar bei den beiden Kulminationspunkten, wo auch alle Blechblasinstrumente mitmachen, jegliche Härte des Klangs vermieden wird, ist nur eine der vielen Stärken dieses Orchesters. Ab 2026 wird es von Shani übernommen werden.