Schon seit einigen Jahren stellt der Grazer Musikverein gerne unbekanntere Werke jenen von weitaus berühmteren Zeitgenossen gegenüber. So auch an diesem Abend; in der ersten Konzerthälfte wurden Franz Schreker und Richard Strauss als Appetizer serviert, bevor Franz Schmidt als Hauptspeise gereicht wurde. Und wie das bei Dinnerparties oft so ist, hätte man sich auch im Konzertsaal eigentlich lieber an der Vorspeise sattgegessen bzw. -gehört.

Louise Alder
© Gerard Collett

Denn diese bot bereits viel davon, was einen schönen Konzertabend ausmacht. Bei Franz Schrekers Ein Tanzspiel (Rokoko) begannen die Grazer Philharmoniker unter Dirigent Gabriel Feltz sogleich sehr elegisch und flirrend mit der Sarabande und man hörte, dass diese Klangwelten dem Orchester liegen. Jedoch funktionierte das Verständnis zwischen Dirigent und Musikern in Folge nicht immer ganz einwandfrei, was vor allem im flotten Minuet und der Gavotte dazu führte, dass das Orchester auseinander klaffte und inhomogen wirkte. Deutlich harmonischer präsentierten sich die Grazer Philharmoniker dann aber bei den fünf am Programm stehenden Orchesterliedern von Richard Strauss. Für die vokale Gestaltung wurde die britische Sopranistin Louise Alder aufgeboten, die von der ersten Zeile an mit enormer Wortdeutlichkeit begeisterte und ihren Sopran durch die Strauss’schen Phrasen schweben ließ. Hier war auch das Orchester voll in seinem Element, begleitete die Sängerin gefühlvoll und bettete sich umsichtig auf transparenten Klang. Insbesondere die Konzertmeisterin, deren Geige ein regelrechtes Zwiegespräch mit der Stimme zu führen schien, sorgte für berückende Momente. War Alders Stimme bei Das Rosenband und Ich wollt' ein Sträußlein binden zunächst noch etwas eng in der Höhe, blühte sie bei Allerseelen schließlich so richtig auf und transportierte große Emotionen. Aus den Vollen ihres Volumens konnte sie bei Zueignung und dem Gesang der Apollopriesterin schöpfen, wobei einige der tiefen Phrasen doch etwas dünn und angestrengt gerieten. Den absoluten Höhepunkt bot schließlich die Zugabe, Strauss’ Morgen, das ich wohl noch nie so pessimistisch-melancholisch gehört habe, wie an diesem Abend; eine Interpretation, die das Publikum hörbar zu tiefem Innehalten bewegte. Diese spezielle Stimmung im Saal hätte auch der zweiten Konzerthälfte gut gestanden, die im Vergleich zum vor der Pause Gehörten nämlich deutlich abfiel.

Die Werke von Franz Schmidt (1874 - 1939) wurden zu Lebzeiten des Komponisten regelmäßig aufgeführt, nach dem zweiten Weltkrieg verschwanden sie – wohl auch aufgrund seines Eintretens für den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland und seine Sympathien für das austrofaschistische Regime – von den Spielplänen. Schmidt erhielt bereits in jungen Jahren von seiner Mutter, einer Pianistin, Klavierunterricht und studierte später in Wien Komposition und Cello. Er war Mitglied der Wiener Philharmoniker und spielte im Hofopernorchester. Im Jahre 1914 erhielt er eine Professur an der Wiener Musikakademie, deren Rektor er später sogar wurde. Dabei wandte sich Schmidt zusehends der Avantgarde zu, studierte mit seinen Studenten etwa Schönbergs Pierrot Lunaire ein. So erfolgreich er beruflich war, so turbulent verlief sein Privatleben. Unerfüllte Jugendlieben, der Tod seiner Tochter und die Einweisung seiner ersten Ehefrau in eine Nervenheilanstalt prägten ihn.

Die Symphonie Nr. 2 in Es-Dur entstand während zweier arbeitsintensiver Jahre und wurde 1913 in Wien uraufgeführt. In ihr wandte der Komponist seinen Blick und Stil aber nicht nach vorne, sondern zurück zu den klassischen Schemata einer Symphonie, die sich seit dem Barock eingebürgert hatte und spielte mit Variationen und Fugentechnik. Laut Partitur besteht Schmidts Zweite Symphonie aus drei Sätzen, wobei der zweite Satz deutlich in zwei verschiedene Teile gegliedert werden kann, wodurch sie der klassischen viersätzigen Form Rechnung trägt. Stilistisch weist sie klar spätromantische Züge auf und bietet epische Klangwelten, ohne wirklich etwas erzählen zu wollen. Keine Frage, es ist ein virtuos komponiertes Werk, das man hier hört, aber wenn die Musik inhaltsleer scheint und einige wenige Themen immer wieder in Variationen aufgegriffen werden, dann können 50 Minuten Aufführungsdauer lang werden, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass der Dirigent vor allem auf Lautstärke, bis hin zur Ohrenschmerzgrenze, setzte. Anders gesagt: Wenn man zum Beispiel im ersten Satz nicht mal mehr hört, dass die Sitznachbarin ein Hustenzuckerl aus einer Blisterpackung drückt, sind die Bläser definitiv zu laut. Nicht nur bezüglich der Dynamik wirkte die Interpretation eindimensional, auch Klangfarben und Emotionen kratzten in den drei Sätzen lediglich an der Oberfläche. Dass die Grazer Philharmoniker unter Gabriel Feltz nicht zu der Form aufliefen, die sie zuvor bei Strauss‘ Liedern gezeigt hatten, sorgte dafür, dass sich die Symphonie Nr. 2 zog, wie Strudelteig. Gefühlt dauerte die zweite Hälfte des Konzertabends viel länger, als die erste und schließlich machte der Vergleich sicher: Es ist wohl doch kein Zufall, dass Franz Schmidt deutlich seltener auf den Spielplänen zu finden ist, als Franz Schreker oder der allgegenwärtige Richard Strauss.

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