Station in Bad Tölz, zwischen Sala Verdi in Mailand und Muziekgebouw Amsterdam, dann Mitte Februar in der Londoner Wigmore Hall, wo das Leonkoro Quartett 2022 den 1. Preis beim Internationalen Streichquartett-Wettbewerb errang: der Tourneeplan des erst 2019 gegründeten Berliner Quartetts liest sich eindrucksvoll, wie auch die bereits beachtliche Reihe von Auszeichnungen, zu der 2023 noch der 1. Preis beim Concours International de Quatuor à Bordeaux kam. Die Darbietungen von Jonathan Schwarz und Amelie Wallner (Violine), Mayu Konoe (Viola) und Lukas Schwarz (Violoncello), allesamt noch unter 30 Jahre alt und bereits an praktischen Erfahrungen aus größeren Ensembles gewachsen, überzeugten dabei nicht nur hochkarätige Juroren, sondern zogen auch die Hörer in ihren Bann; sie gewannen mehrere Publikumspreise.

Leonkoro Quartett © Nikolaj Lund
Leonkoro Quartett
© Nikolaj Lund

Wie passt da das idyllische oberbayerische Kurbad Tölz hinein, mit dem viele Fernsehzuschauer zuerst einen bullig gemütlichen Fernseh-Kommissar verbinden? Seit wenigen Jahren hat sich in Bad Tölz ein Treffpunkt von Streichquartett-Liebhabern entwickelt. Christoph und Susanne Kessler leiten mit langer Organisationserfahrung und viel Enthusiasmus den Verein Klangerlebnis, der das Tölzer „Quartettissimo“ mit Leben erfüllt hat. Im Januar brachte er nun beim Tölzer Preisträger Gipfel junge ausgezeichnete Ensembles aus aller Welt auf die Bühne: sechs Sieger in 13 Tagen. Der Gabriel von Seidl-Konzertsaal im Kurhaus Bad Tölz gefällt dazu im klassizistisch festlichen Rahmen; der abgerundete Raum bietet etwa 400 Zuhörern Platz, lässt durch eine für Kammermusik beeindruckende Akustik aufhorchen.

Mit Franz Schuberts frühem Streichquartett g-moll aus dem Jahr 1815 hatte das Leonkoro Quartett ein Werk gewählt, das die Betonung von straffer Formgliederung und kontrapunktischer Durchführung der Sätze in der offenen Akustik des Saals bestens durchhörbar machte. Die vom g-moll-Dreiklang ausgehende Exposition im Kopfsatz wirkte fast heiter bewegt und erinnerte an den melodischen Tonfall früher Beethoven-Quartette. Verhalten liedhaft lächelte das Hauptthema im Andantino, in dessen Mittelteil das Violoncello pointiert die chromatisch aufsteigende Modulation des Motivs kommentierte. Derbe Tanzschritte klangen aus dem Menuetto ebenso anmutig heraus wie fein melodisches Porzellan der führenden Geigenstimme im lieblichen Trio. Im Finale, ein gespenstischer g-moll-Tanz mit skurrilen kurzen Vorschlägen, Staccato-Passagen und die Motivsprünge aufhaltenden Fermaten, wiesen die vier dann lächelnd virtuos auf die Vorahnung ausladender Rondoformen des späten Schubert.

Dass das Quartett (bis auf den Cellisten) stehend spielt, erwies sich gerade beim folgenden Streichquartett Nr. 1 von Leoš Janáček als absolut richtige Entscheidung, die Aufbau und Gestaltung dynamischer Abläufe optimal unterstützte. Janáčeks Streichquartett liegt als literarisches Thema Tolstois Kreutzersonate zugrunde, in der eine Eifersuchtstragödie geschildert wird. Der Ehemann vermutet die Untreue seiner Gattin, weil sie zusammen mit einem jungen Geiger leidenschaftlich musiziert, unter anderem Beethovens Kreutzersonate. Hineingesteigert in rasende Eifersucht ermordet er seine Frau.

Janáčeks Musik ergreift für sie Partei, ist voller Mitleid für die gequälte, unglücklich gewordene Ehefrau. Dem dramatischen Ablauf, der sich in jähen Umschwüngen der Dynamik manifestiert, zerfetzter Form, in der ein Gedanke den anderen jagt und übertönt, folgte man erschüttert; verschlug einem in der Radikalität des Ausdrucks, gerade bei vielen die Eifersucht zeichnenden sul ponticello-Passagen, beinahe die Sprache. Auch die Liebeshoffnung dieser Leidenschaft wurde vom Leonkoro Quartett angenommen und mit großer Bereitschaft zum Risiko tatsächlich ausgespielt, konzentriert und intensiv, mit stupender instrumentaler Bravour an jedem Pult, in aufwühlender musikalischer Inszenierung der fiebrig nostalgischen Stimmungen von Tolstois Novelle.

Mit seinem dem Fürsten Razumowski gewidmeten drei Streichquartetten zeigte Ludwig van Beethoven einen neuen Stil, musikalisch in sich gekehrt, schon mit weitsichtiger Geste ins kommende Jahrhundert ausgreifend. Das Erste in F-Dur, zeitlich nahe seiner Fünften Symphonie entstanden, verbindet die Pastoralen-Tonart mit dem formalen Anspruch der „Schicksalssymphonie“. Wunderbar gelangen einleitend der lyrisch ariose Vortrag des Violoncello, die reflektierende Fortführung in den anderen Instrumenten. Wiederum faszinierte die verblüffende Vertrautheit der jungen Musizierenden, ein „Zusammenstecken der Köpfe“, klangvolle Übergänge zwischen Drängen und Entspannen. Und Nerven wie Drahtsaiten: als mitten in Beethovens Adagio eine Saite von Lukas Schwarz' Violoncello reißt, ist nach wenigen Minuten die neue aufgezogen; keine Spur von Nervosität beim Neubeginn des Satzes, dessen Glut nun fast noch intensiver bis in den verklärten Schluss wirkte. Löwenherzen halt, die ihrem aus der Kunstsprache Esperanto abgeleiteten Namen, auf ein Kinderbuch von Astrid Lindgren anspielend, alle Ehre machten!

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