Das Glück lauert vor der Tür. Erst recht, wenn eine bekannte Künstlerin in der Nachbarschaft wohnt. Denn mit ausreichend Initiative, finanzieller Unterstützung und Freiwilligenpower lässt sich mit deren Talent, Namen und Kontakten doch etwas für die Bewohner zu aller Glückssteigerung auf die Beine stellen. Das dachte sich Frank Suyderhoud im kleinen Maasörtchen Batenburg in der Gemeinde Wijchen, in dem Judith Steenbrink, Gründerin und Leiterin von Holland Baroque, wohnt und sie dorfgemeinschaftlich fragte, etwas in Batenburg zu tun. Schließlich spiele sie doch mit ihrem in Utrecht ansässigen Ensemble sonst überall anders, so dass die Menschen zu ihr reisten, statt Musik und Leidenschaft auch direkt vor Ort zur Belebung desselbigen anzubieten. Steenbrink arrangierte daraufhin ein dreitägiges Festival, das 2022 an den Start ging.

Beflügelt durch den Erfolg der Erstausgabe, wuchs das Festival letztes Jahr bereits an. Auch weil Gäste aus den umliegenden Provinzen nun nach Batenburg kommen, also weiterhin zu Holland Baroque und eingeladenen Musikern anreisen. Bei der jetzigen dritten Edition nochmals – Anlass für einen kleinen Freudentanz der Organisatoren. Dabei war allerdings Judith Steenbrink nicht so wirklich nach einem solchen zumute, ereilten sie und ihre Zwillingsschwester Tineke Anfang Juli die Projekte und Orchester gefährdende Nachricht, dass der Niederländische Kulturrat und Fonds Podiumkunsten ihre Fördermittel ab kommendem Jahr nicht mehr zur Bewilligung vorschlagen wollen. So sollte es gleichzeitig Zufall sein, dass das Konzert mit neuen Arrangements der Geschwister unter dem Titel „Tarantella“ stand, jenem süditalienischen Tanz des Wahnsinns, mit dem man das Gift eines Spinnenbisses austreiben wollte.
Es begann mit berüchtigter Melodie traditioneller Tarantella Napoletana, eingerichtet für Ensemble und eingekleidet in eine modern-sphärische Eigenkomposition Judiths mit Ride Cymbal, betäubender Windpfeife und markigen Streicherakkorden. Eine typische, jazzige Crossover-Kreation Holland Baroques, die zusammen mit den „Olè“-artigen Rufen der personifizierten Stimmungskanonen Matteo Rabolini an einem kuriosen Schlagwerk-Potpourri und Hugo Miguel de Rodas Sánchez an Barockgitarre, Laute und Mandoline natürlich nicht die einzige bleiben sollte. Denn selbst Gaspar Sanz‘ Canario erlebte ein bassgrooviges und extravagantes Aufpeppen, als Rabolini schlager-hopsnehmendes Restaurantitalienisch über die Rhythmik aneinanderreihte, die das Publikum aufgefordert und später grinsend angesteckt mitklatschte. Noch grotesker wurde es mit der neapolitanischen, von Klangholzplättchen und Drumbrushes unterlegten Spätrenaissance-Gagliarda Antonio Valentes, als schräge, disharmonische Darmsaitenintros und Zwischenimprovisationen sowie die penetrante Trillerpfeife den Gipfel des Verrückten an die Wand malten.
Ihr voraus ging mit Emanuele Barbellas für Ensemble gesetztem, wildem Sonaten-Presto ein weiteres Ausjagen, das seine Verschnaufpausen in Luigi Vecchiottis farbexotischer, mit kleinem Schellenbund und Minixylophon angereicherter Cornamusa sowie in einem mit Steenbrinks präzisen Doppelgriffen versehenen Siciliano Johann Georg Reutters d. J. erfuhr. Dabei wohnte Holland Baroques Impetus eine berührende verletzliche Schönheit inne. Diesem folgte Luigi Boccherinis berühmter, von de Rodas‘ Laute übergeleiteter Fandango, in dem mit Kastagnetten und bürstigem Strich der ganze Spaß einer chillig-ausgelassenen Jamsession steckte. Zudem die Masaniello-Tarantella, in der das spritzige Ensemble das köstliche Flair einer Straßenkapelle annahm.
Gesanglichen, darstellerischen und tatsächlichen Tanz auf die Bühne brachte Luciana Mancini, die mit dunklem, raumgreifendem, südländischem Mezzo, fesselnder Gestik und Mimik sowie steter Bewegung in ihrem Element war. Zunächst feurig in E. A. Marios Tammurriata Nera, die alle Musiker im humoristischen Überschwang mit einem „Hey“ abschlossen, dann mit der temperamentvollen, synkopischen Beschwörung in traditioneller, von Rabolinis Tambourin und Stampfen basisrhythmitisierten Tarantella dell’Avena „Lu Passariellu“. Schließlich nahm Mancini Benedetto Ferraris Ciaccona „Amanti, io vi so dire“ mit dramatischem Charme und sympathischer Chuzpe auf die Schippe, ehe final jeder mit der populären Gargano-Tarantella zu Rabolinis Bechertrommel emotional aufdrehte. So steht Holland Baroque doch hoffentlich selbst Glück vor der Tür, das dessen Sorgen vertreiben möge wie diejenigen Batenburgs Einwohner und Gäste in dieser Stunde zusammenführender Musik.