Wie alle seine Kollegen der Zeit, war auch Johann Sebastian Bach während seiner Residenz in Weimar dem für einige Seiten einträglichen, nach dem Tod Corellis für Hörer und Macher jedenfalls gänzlich ersehnten Hype um Vivaldi und Co. verfallen. Als Organist angestellt und an seinem vertrautesten, bestbeherrschten Herzensinstrument – neben Geige und Bratsche – exerzierend, verwertete Bach daher umgehend Concerti Vivaldis, anderer italienischer Chartstürmer oder – in gegenseitiger Gelegenheitsinspiration – des violinkomponierenden Weimarer Prinzen für die Königin der Instrumente, sobald er sie durch seinen Dienstherrn durch dessen Studium in den damaligen Niederlanden haptisch zu Gesichte und musikalisch zu Geiste erhielt.

Holland Baroque © Wouter Jansen
Holland Baroque
© Wouter Jansen

In den heutigen Niederlanden sind es die Zwillingsschwestern Judith und Tineke Steenbrink, die interessante Musik für ihr Ensemble Holland Baroque arrangieren. Im Falle Bachs Orgelstücke mit italienischem Gusto betätigten sie sich jetzt folglich dergestalt, dass sie – eben anders als Reger oder Stokowski für ihre Zwecke zuvor – die Werke für das immer beliebtere neue Hauptmedium, der Geige und dem Concerto per arci, ergänzt um Holzbläser, orchestral ummodelten, ja logisch re- beziehungsweise de-„organ“-isierten. Nach einer Heimtour waren sie damit bei der Eröffnung der Brühler Schlosskonzerte 2023 zu hören.

Dabei fluteten sie das Treppenhaus von Augustusburg klangvoll mit ihrem eklatant treffenden Rhythmus aus Ent- und Anspannung, begleitet von ebenso wollüstigem Sinn für dynamische Effekte und emulsiver Stärke satzdramaturgischer Kontraste. Mit orgeltypischer Wucht dechiffrierten sie pfiffig und anregend die Pfeifenregisterfarben zu einer neuen alten Schatz- und Herzkammer für „originale“ Saiten, Bögen, Mundstücke und Rohrblätter, resultierend aus beider Instrumenten- sowie fest barocken Improvisationskenntnissen für das kreative, transkribierende Gefügigmachen über dem Orgelpunkt in jeweiliger Sektion. Genau solches war im strengen Maße mit dem Choralcantus von Streichern, Oboen und Altblockflöte in Meine Seele erhebet den Herren über dem liegenden Ton Tinekes Truhenorgel zu vernehmen, nachdem sie Holland Baroque in der eingangs gespielten Sonate in C, BWV529, in Szene gesetzt hatten. Füllten Tatjana Zimres und Rodrigo Lopez Paz' sowie vor allem Wouter Verschurens ganz kurz die Führung übernehmendes Fagott in den „Allegro“-Ecksätzen Streicher und Continuo obligat oder colla parte zum federnden und gelösten Konzertgefallen auf, schwiegen sie beim „Largo“-Trio, in dem Judith, Chloe Prendergast und der Bass mit Tinekes Cembalo, Judith-Maria Blomsterbergs Cello sowie Daniel Zapicos Theorbe kantable, klare, einfühlsame Sentimentalität aufbrachten.

Die Bläser pausierten zudem in den zwei schnellen Sätzen der Sonate in c, BWV526, in der sich mit den Concertati von Orgel und Bass über dem Pianissimo-Accompagnato und von Judiths etwas braverer Violine mit dem Cello sowie mehr Viola-Einsatz stets inhärent saugende Lebensfreude generierte. Zirkulierte sie mit den Formen von Spiel, Stolz und Strahlen also bereits, legte das konstruierte Concerto per violino aus BWV592 und berüchtigtem, mittelsätzigem BWV974 Temperament, Ton und Theorbe auf eine höhere Stufe. Steenbrink brillierte besonders im Presto, gedoppelt von Prendergast, ein richtiger Rausschmeißer, obwohl die Pause erst nach der turbulent-feierlichen, tänzerisch erhebenden G-Dur-Fuge, BWV577, mit Einsätzen beider genannten Violinistinnen, Emma van Schoonhovens Viola, Zimres Oboe und dann restlichem Einsteigen eingeläutet wurde.

Aus ihr lotste der Concerto-Satz BWV595 mit fruchtiger Überzeugungskraft zurück in allerhand Verzückung, als sich Kontrabassist Michal Bak an die Truhenorgel begab, um in Holland Baroques aufgeteilten Rollen in In dir ist Freude eine arkadische Variation an Pizzicato- und Arco-Elementen zu co-harmonisieren. Nach ehrfürchtigem Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf, schien die ergreifende Passacaglia in c, BWV582, die Emotionen nochmals dadurch tonal-bildlich zu wiederholen, dass dunklere Alt- und Bassblockflöten das flehende Perpetuum einmassierten, ehe Oboen und Fagott mit hellerem und drängenderem Zuge zum Ziel das darüber befindlich Ewige auftaten. Umfassende Ansätze und Artikulationsgeschicke kulminierten in Bachs selbst beschriebenem „allerbestem Pedalstück“, der Fuge in g, BWV542, erst recht noch nach wunderbar gesungenem „Credo“ aus übergeleitet vorheriger Transkriptionszugabe, mit der das Ensemble und dessen Leiterinnen musikalisch und talentmäßig wahrlich königlichen Eindruck machten.

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