Zumindest einmal im Jahr gelang es mir, Amandine Beyer und ihr Ensemble Gli Incogniti in den vergangenen Zeiten in ihren unterschiedlichen Programmen live zu hören. Jedes Mal hatte ich nämlich versucht, meinem Vorsatz und hier auch schon zum Ausdruck gekommenen Wunsch, sie aufgrund bisheriger Erfahrungen bei entsprechender Gelegenheit wieder zu vernehmen, nicht nur redensartliche Worte, sondern tatsächlich auch Taten folgen zu lassen. So – nach letztgeäußerter Wiederholung – also ebenfalls in diesem Jahr, in dem Beyer nach Residenz beim Brüsseler Alte-Musik-Fest noch Station in Maasmechelen machte.
Dabei stellte sie in steter Hinwendung zum venezianischen Violinguru Vivaldi und nach letztem Auftritt dort 2018 ihre Version der besetzungsmäßig kleiner skalierten „Il-Mondo-al-Rovescio“-Konzerte vor; ein Programm für die von Vivaldi mit recht sonderbar umgedrehten oder zusammengeschriebenen Soli bedachten Concerti seit 2021, als Gli Incogniti zugleich die trotz intonatorischer Unschärfen anregende Rovescio-Einspielung in großer Ausgabe mit den Concerti per molti strumenti vorgelegt hatten, die mein neuerliches Hinziehen zusätzlich anfachen sollte.
Dennoch findet und fand sich auch mit dem „Dresdner“ Violinkonzert RV 344 wieder die Übernahme jener CD im Programm, das ansonsten im Vergleich zum bisherigen Ablauf an einer Stelle verändert worden war. Statt des Oboenkonzerts RV 454 und damit eines reinen Vivaldiabends platzierten Gli Incogniti Tomaso Albinonis populärsten Einfall für das Holzblasinstrument, ebenfalls in d-Moll. In jenem Concerto à cinque, Op.9 Nr.2 brillierte Neven Lesage mit immens klarer Artikulation und Phrasierung, bestechender Dynamik und fabelhafter Tongebung. Solche, die einerseits wie eine ästhetische menschliche Stimme oder ein umgesetztes Sternenfunkeln anmutete, andererseits ein gehöriges Maß an Kontur und Griffigkeit zur tänzerischen Eleganz und weichen Charmanz des Orchestralen draufsattelte.
Zuvor waren Gli Incogniti mit Vivaldis Streicherkonzert in C, RV 114, in ihrer typisch erfrischenden, französisch-italienischen Kombination aus schwingender Gelassenheit und doch knackigem Drive in den Abend gestartet, gespeist aus beflügelndem Eindruck von Melodie und Harmonik sowie dem Einsatz vortrefflicher Dynamik. Zwar wies sie unter Balance-Gesichtspunkten durch die solistische Besetzung ein sehr starkes Bassfundament auf, doch hielt die Gesamtstatik wegen Gli Incognitis abermals sinnvoller Aufstellung.
Ihm folgte mit dem Konzert für Violine und Cello RV 544 namensgebendes Rovescio-Concerto in erster Fassung, in dem sich bei oktaviert und auch in kleineren intonatorischen Malaisen spiegelnden Beyer und Marco Ceccato der leicht aus sich strömende, nicht druckvoll forcierte Vokalstil bezahlt machte, der in der Rasanz des Schlusssatzes zu einem unterhaltsamen Flow mutierte. Ein paar unsaubere Nachlässigkeiten schlichen sich dann zudem in erwähntes Violinkonzert RV 344 mit gleichfalls unerlässlicher Concertinobeisteuerung Ceccatos und der tadellosen Violine II Yoko Kawabukos, wobei Beyers dynamische Bandbreite und abermals fluffig lockerer Bogenzug gefielen. Im Largo ätherische Verletzlichkeit suggerierend, betonte Beyer das verrückte Fugenschema des Ensembles wie die Soli im finalen Allegro fast schon überzeichnend extravagant.
Die ganzen lorbeerigen Erwartungen sollten auch mit zweitem Teil des Abends nicht enttäuscht werden, begonnen mit dem Alla-Francese-Concerto für Violine und Oboe „à l’unisson“ in Vivaldis überdies eher raren Viersätzigkeit. Hier musste die Intonation exakt passen und tat es, als Beyer und Lesage ihr solistisches, delikates Unisono im Piano gegenüber dem Tutti-(Mezzo)Forte bei den Sätzen eins und drei anbrachten, ehe Gli Incogniti ein folkloristisch befreiendes Minuet von der Leine ließen. Besonders auffällig rigorose Energie verströmte Vivaldis Violinkonzert RV 278, in dem Beyer in ihrer favorisierten Tonart e-Moll merklich sowohl intonationstechnisch als auch spielgewandt emotional bei Vivaldis Wiener Schicksal, zierlich-schmerzlicher Beschwer und deliziös abgesetztem Kampf damit beziehungsweise kontrastierend dagegen zuhause war.
Als im Barock unweigerliches lieto fine angekündigt, erfüllte schließlich das lieblich-begehrend phrasierte Drillingskonzert RV 554 für Geige, Oboe und Orgel samt zwingender Ripienostreicher und Continuo das heiter lebens- und seriös charakterfeiernde Versprechen von Spiel(witz) und Spiegelung. Mit Beyer, Lesage und famoser Anna Fontana untereinander und als Ensemble zur kopfstellenden Dreieinigkeit bezüglich Vivaldi.