Der österreichische Komponist, Musiktheoretiker, Maler, Dichter und Erfinder Arnold Schönberg (1874-1951) gilt wohl zusammen mit Igor Strawinsky als einer der einflussreichsten Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts nach Claude Debussy. Nach Hitlers Machtübernahme schloss er sich im Pariser Exil 1933 – in Anwesenheit des Malers Marc Chagall – dem jüdischen Glauben wieder an, den er 1898 aufgegeben hatte, um sich evangelisch taufen zu lassen. Im selben Jahr emigrierte Schönberg, der ein leidenschaftlicher Tennisspieler war in die USA, wo George Gershwin jahrelang sein fester Tennispartner war.

Das Concertgebouw Orchester feiert an diesem Wochenende Schönbergs 150. Geburtstag mit einer besonderen Aufführung seiner Gurre-Lieder unter der Leitung seines Ehrendirigenten Riccardo Chailly. Das RCO hatte das Werk 1921 zweimal unter der Leitung des Komponisten aufgeführt. Die dreiteilige Kantate ohne Opuszahl gilt schon allein wegen der benötigten Anzahl von 150 Musikern und 200 Sängern als ein musikalisches Prunkstück hochromantischer Konzertkunst. An der Uraufführung im Wiener Musikverein im Jahr 1913 sollen sogar 757 Vokal- und Instrumentalisten beteiligt gewesen sein. Diese Uraufführung wurde der größte Erfolg in Schönbergs Karriere, aber er selbst war nicht glücklich darüber. Denn während er die Gurre-Lieder zwischen 1900 und 1911 schrieb, hatte er sich mit dem Entwickeln der Zwölftonmusik langsam aber endgültig von der romantischen Musik verabschiedet. Und trotzdem schrieb Schönberg später: „Dieses Werk ist der Schlüssel zu meiner ganzen Entwicklung. Es zeigt mich von Seiten, von denen ich mich später nicht mehr zeige oder doch von einer anderen Basis. Es erklärt, wie alles später so kommen mußte, und das ist für mein Werk enorm wichtig: daß man den Menschen und seine Entwicklung von hier aus verfolgen kann.“
2014 fand an der Niederländischen Nationale Opera die szenische Uraufführung von Schönbergs Gurre-Liedern statt. Regisseur Pierre Audi hatte in der Musik eine versteckte Oper entdeckt: „..eine dramatische Liebesgeschichte mit theatralischen Qualitäten, eine Verbindung zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, eine neue Welt im Aufbruch und eine politische Dimension.“
Für die aktuelle traditionelle Konzertaufführung hatte man dem Ausbau des Podiums sieben Stuhlreihen opfern müssen, um u.a. den 82 Streichern und vier Harfen Platz zu bieten. Auf den Podiumsplätzen saßen neben der großen Orgel des imposanten Concertgebouw mit dem Chor des Niederländischen Rundfunks (Groot Omroepkoor), dem Chor des Bayerischen Rundfunks und Laurens Symfonisch aus Rotterdam gleich drei stimmgewaltige Konzertchöre.
Der erste Teil vor der Pause besteht aus neun Liedern mit Orchesterbegleitung, abwechselnd gesungen von Andreas Schager (König Waldemar) mit kräftigen Höhen und gestenreicher Heldentenor-Ausstrahlung und Sopran Camilla Nylund (Tove), die trotz all ihrer virtuosen stimmlichen Expressivität der geballten Orchestergewalt des RCO nicht immer standhalten konnte. Waldemar hegt eine tiefe Liebe zu der schönen Tove. Als diese von der eifersüchtigen Königin Helvig ermordet wird, kommt eine Waldtaube, Mezzosopran Ekaterina Semenchuk mit bezaubernd warmem tiefen Register, um Waldemar in dem abschließenden (10.) düsteren Lied der Waldtaube davon zu erzählen.
Wahnsinnig vor Kummer verflucht Waldemar darauf Gott im kurzen zweiten Teil Herrgott, weißt du, was du tatest. Es folgen im abschließenden dritten Teil alptraumhafte Szenen mit Robert Holl als Bauern und Stimme des Volkes und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als kauzig-verrückter Narr. Ein im Krieg getötetes Heer wütet zombie-gleich in ohrenbetäubender Orkangewalt mit Kettengeklirr vom Schlagzeug und Xylophon-verstärktem Knochengeklapper. Die Gurre-Lieder enden mit einem von Chailly gefühlvoll modellierten am Ende aus voller Brust vielstimmig besungenen hell erstrahlenden Sonnenaufgang.