Zur jährlichen Ratswechselprozession in Leipzig am Montag nach Bartholomäi (24. August) um sieben Uhr morgens in St. Nikolai, an dem der Übergang des zwölf Monate lang sitzenden Stadtgremiums zum nächsten der zwei anderen ruhenden, jeweils zwölfköpfigen Leitungsausschüsse gefeiert wurde, wurde bei Bach eine Festkantate bestellt. Siebenundzwanzig Mal also in Bachs Amtszeit, ungeachtet mancher kriegsbedingten Kapriolen ab 1745, wobei der Komponist einige frühere Stücke wiederbenutzte. Selbst als der Thomaskantor am 28. Juli 1750 starb, wandte sich die Stadt acht Tage vor dem Gottesdienst zur Beweihräucherung und Verpflichtung von Bürgermeister, Baumeistern, Ratsmitgliedern und natürlich absegnendem Kurfürsten an seine Witwe, die Musik für diesen großen Tag vorzulegen. Nun ja, etwas mehr Pietät wäre aus heutiger Warte in der pietistischen Hochburg wohl angebracht gewesen!

Soweit zum Leipziger Ratswechsel, für den vier beziehungsweise fünf Kantaten, rechnet man eine weitere Aufführung von BWV137 für jene Verwendung dazu, erhalten sind. Eine davon ist Gott, man lobet dich in der Stille, BWV120, die die bisher ungeklärteste Werkgeschichte aufweist. So stellt sich gleich die Frage nach der ersten Aufführung, kann man mit vier Fassungen, von denen eine verschollen ist, eine weitere rekonstruiert werden kann, schnell den Überblick verlieren. Dabei drängt sich der Vergleich vom Huhn und dem Ei auf, ob die Kantate zunächst für den 29. August 1729 (Version verloren, dieses Datum aber nun als Erstaufführungstag gewählt) oder wenige Monate zuvor oder danach für eine große Hochzeitsmusik mit dem Titel Herr Gott, Beherrscher aller Dinge, BWV120a (rekonstruierte Version), geschrieben wurde. In jener Trauungskantate findet sich übrigens die Orgelkonzert-Sinfonia, die Bach in der Ratswahlkantate BWV29 – später zu „Gratias“ und „Dona nobis pacem“ der h-Moll-Messe erneuert – wiederverwendet, ihrerseits eine Parodie eines früheren Kammermusikwerks für Violine. Zudem könnte als Choral derjenige von BWV137 gesungen worden sein.

Sicher ist, dass Bach die Musik 1730 zur 200-Jahr-Feier der Augsburgischen Konfession spielen ließ (dritte Version) und sie ab 1742 abermals änderte. In dieser Fassung, also frühestens zur Ratswahl 1742 (vierte Version), liegt die heutige Kantate BWV120 vor. An ihr fand Bach, wie bereits gezeigt, ebenfalls durchgehend großen Gefallen, recycelte er den Chorsatz wiederum für die spätere h-Moll-Messe, dort zum „Et expecto“ im „Credo“. Besonders ist sie aber auch schon allein deshalb, weil sie mit einer Soloarie beginnt und der obligatorische, erwähnte Festchor (hier mit dem Titel „Jauchzet, ihr erfreuten Stimmen“) mit Trompeten und Pauken erst danach kommt. Diese Arie, gesungen vom Alt begleitet von Streichern und Oboen d’amore sowie mit Pausen versetzt, verdeutlicht so bei aller beschwingten Siciliano-Freude die „Stille“ vor dem bombastischen Lob des Dank-und-Schutz-Psalms 65, dem das Tutti im Coro mit „himmelsaufsteigender“ Clarine nachkommt.

Die Stimme des vokalen Basses ruft dann im Rezitativ „Auf! Du geliebte Lindenstadt (altsprachliche Bezeichnung Leipzigs) “ stadtkonkret zu gebetlicher Frömmigkeit zur Wahrung Gottes Obhut auf. Angesprochene Beweihräucherung in Form des ratstagenden „Segens“ für die Stadt und die Verpflichtung auf „Recht und Treue“ verkündet der Sopran in der Arie mit Solovioline, die Bach – wer hätte es gedacht – wieder einer früheren Komposition (BWV1019, welch Komponistensegen zumindest, dass es Aufnahmen ja damals nicht gab) entnimmt. Bittet das Tenorrezitativ nochmals direkt bei Gott um diesen „Segen für das Regiment“, mahnt der Choral mit einer Strophe Luthers Te Deum den Rat, demütiger Diener Gottes zu sein. Er erklingt ohne Trompeten und Pauken, die anschließend in einem Auszugsmarsch nochmals ihren Glanz im feierlichen Rahmen abstecken durften.