Die neue Aida-Inszenierung in Berlin ist ein fulminantes Klangerlebnis mit Surround-Effekt, ein groß tönendes, nie zuvor gehörtes, den Raum erfüllendes Musikwerk, das manchem Zuhörer als zu mächtig erscheinen mag.
Dieser gewaltige Eindruck ist abhängig vom Platz im Zuschauerraum, denn neben, vor oder hinter den Besuchern ist der Chor positioniert, dessen Damen und Herren die Rollen des Volkes, der Soldaten, Priester und Gefangenen übernehmen: in hohem Dezibel-Bereich verbunden mit herrischer Gestik, die Priesterinnen dagegen von einer entfernt himmlischen Zartheit. Dazu das Orchester hinter einem Gazevorhang auf der Bühne geleitet von dem dreißigjährigen Andrea Battistoni, offenbar mit dem Verdi-Gen geboren. Das Orchester spielte von ihm inspiriert leidenschaftlich und präzise auf.
Battistoni vermittelte seinen Ensthusiasmus gestenstark nuancenreich, selbst sprunghaft wie einst Leonard Bernstein. Immer wieder musste er sich in den Zuschauerraum und zur Seite wenden, denn im Dunkel des ersten Rangs und an der Seite verborgen sangen Ante Jerkunica als König, Simon Lim als Ramfis, Markus Brück als Amonasro, der Bote und die Priesterin. Nicht zu vergessen am Ende der Blick zum ersten Rang. Dort erschien Aida, immerhin im Licht, aber von Radames weit entfernt. Dieser Einfall gehört zu den Eigenwilligkeiten des Regisseurs Benedikt von Peter, dessen Inszenierung auf eine Dreiecksgeschichte zusammengeschrumpft worden ist.
Auf einem Tisch liegen zwei Bücher, ein Foto und eine Landkarte Ägyptens. Die Haushälterin Amneris und ihr Mann Radames sitzen abwechselnd an einem Tisch. Sie trägt immer mal wieder Geschirr auf einem Tablett heran, versorgt den Herrn, schmiert ihm ein Butterbrot mit Wurst. Sie liebt ihn und ist zugleich auf Aida eifersüchtig, der er nach einer ersten Begegnung verfallen ist – einer verführerischen Traumgestalt, von der er ein weißes Braut-Petticoat-Gewand wie einen Fetisch mit sich herumschleppt, und den er am Ende neben ein paar Büchern, den Reiseführern, in sein steinernes Grab mitnimmt.
Erwähnt werden muss: Amneris nimmt zwischendurch Zeitungsartikel zur gegenwärtigen Zuwanderung nach Europa zur Hand. Dazu werden Fotos und Sequenzen mit einem Bomber, Flüchtlingen auf dem Mittelmeer und an der Grenze eingespielt. Dabei sind es in der Oper, wie wir hören und wissen, Soldaten und Gefangene. Ungenauigkeiten finden sich auch im szenischen Bereich.
So ist Radames bei der Auseinandersetzung zwischen Amneris und Aida anwesend, während er zugleich in der Schlacht nicht nur den Sieg erringt, sondern auch den Beweis für seine große Liebe zu Aida erbringt. Oder: Amneris ruft nach den Wachen mit dem Auftrag, Radames vorzuführen. Der von ihr Geliebte und Verfluchte hockt derweil zusammengesunken unter dem Petticoat. Radames war von der Personenregie ohnehin ziemlich im Stich gelassen worden und dazu verdammt, ohne Sinn stets hilflos herumzustehen und orientierungslos herumzugehen.
Von Peter verwehrt wichtigen Akteuren den Auftritt versteckt sie im Dunkeln: Amonasro wird für das große Duett des Vaters mit der Tochter an der Seite versteckt. Markus Brück übertrugdiese Brechung aus Fluch und Hoffnung in seelischer Zerrissenheit stimmlich eindrucksvoll, optisch in Abwesenheit. Solche Begegnung passt nicht in das Konzept der Dreiergeschichte am Küchentisch von zwei Frauen und einem geliebten Mann, in der Verdis Aida-Geschichte auf der Strecke bleibt. Nicht aber die Musik.
Die Besetzung ist weltweit erstklassig mit Anna Smirnova als Amneris, hochdramatisch bis an die Grenzen stimmlicher Belastbarkeit. Tatiana Serjan ist als Aida keine verklärte Erscheinung, sondern ein begehrenswert handfestes Weib, das freilich dem Geliebten nicht zu nahe kommt – vielleicht die beste Sängerin, die es gegenwärtig weltweit für diese Rolle gibt: eine Aida, die ihre Liebe auch stimmlich einfordert und im Schlussduett ein ergreifendes, vibrierendes Pianissimo darbietet.
Was eigentlich ist nun die Botschaft dieses „Zimmertheaters“ auf dem abgedeckten Orchestergraben? Soll der Mann sich nicht auf Hirngespinste von der großen Liebe einlassen, sondern sich stattdessen der handfesten, praktischen Mutti zuwenden, die ihn liebt, versorgt, die Wurst bereitstellt und über eine ordentliche Aussteuer verfügt? Dieser Radames nutzt seine Chance nicht – sonst wäre es ja auch nicht Aida. Am Ende Jubel für Solisten, Chor und Orchester und heftige Buhrufe für den Regisseur.
In der Deutschen Oper wurde am vergangenen Wochenende ein Symposion zum Thema „Oper und Politik“ veranstaltet. Eine Erkenntnis: Opern sind Geschichten aus der Vergangenheit, denen Grenzen von Interpretation und Aktualisierung gesetzt sind. Für das Gegenwärtige fehle es an neuen Kompositionen. Deshalb erleben wir immer wieder Bemühungen, dem Alten neue, waghalsige Interpretationen überstülpen zu wollen wie bei einer Turandot, die auf einem überdimensionalen Handy auftrat, oder bei einem Fliegenden Holländer, der im Börsensaal spielte. Diese Aida war und ist davor nicht gefeit. Empfehlenswert als ein großes Hörstück.