In einem Kammerorchester zu musizieren bringt so manche Herausforderungen und ebenso Chancen mit sich. Unstimmigkeiten sind vom Publikum leichter herauszuhören, so auch die andersartige Intensität gegenüber einem großen Symphonieorchester; das Zusammenspiel durch gegenseitiges Zuhören steht hier noch deutlicher im Vordergrund. Das Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks zeigte sich bei seinem Besuch in Essen als hervorragender Klangkörper, der Hélène Grimauds narratives Klavierspiel komplementierte.
Die Französin konnte an diesem Abend mit gleich zwei Klavierkonzerten auftrumpfen, beginnend mit J.S. Bachs Konzert Nr. 1 in d-Moll. Grimauds unaufdringliche Sechzehntel gaben Raum für präzise und mit sanftem Nachdruck gestalte Akkorde, die durch ein ständiges Auf und Ab an mäßigen Crescendi und Decrescendi lebendig wurden. Kreisende, lockere Figuren hingegen definierten den dritten Satz des Konzertes und bildeten einen Gegenpol zu stark betonten Punktierungen und Synkopen.
In Mozarts Klavierkonzert Nr. 20, ebenfalls in d-Moll, war Hélène Grimauds Kommunikation mit dem Orchester und dessen Leiter Radoslaw Sculz besonders schön zu beobachten. Der stetige Blick ins Orchester und das genaue Zuhören stützten die abgestimmte Dynamik zwischen Solistin und Orchester: Übergänge von Tutti- und Solostellen gingen äußerst fließend ineinander über. Grimauds erste Töne in diesem Konzert sprossen förmlich aus dem Schlussakkord des Kammerorchesters; unverblümt und klar erschien das Thema im Klavier. Bezeichnend für Hélène Grimauds Spiel ist jedoch nicht das stringente verfolgen einer einzigen Linie, sondern die Narration in ihrem Klavierspiel, welche sich in Entwicklungen kenntlich macht.
Im vorangegangenen Bach-Konzert durchlebte man eine stete Steigerung in Intensität und Dramatik, was die Musik sehr lebendig machte. Das kühle Anfangsthema bei Mozart erfuhr in der Kadenz eine Wandlung ins Aufbrausende. Diese musikalischen Charakterwechsel wirkten sehr gelöst und waren dennoch wohl durchdacht gestaltet. Eine klare Linie hielt den zweiten Satz in einer Form fest, aus der das liebliche Spiel Grimauds nicht ins Kitschige oder Überempfindsame ausbrechen konnte. Zum ausgedehnten Solo der Oboe und Flöte begegnete das Klavier den Solisten marschierend trocken. Im dritten Satz waren es die Schlussakkorde der kleinen Phrasen, die zum genaueren Hinhören verführten. Diese wurden wider Erwarten aus einer Mischung von zurückhaltender Zaghaftigkeit und sanftem Nachdruck gespielt, was ähnlich einer feinen Zäsur kam.
Auch das Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks konnte an diesem Abend große Spielfreude und Differenziertheit in seinem Spiel beweisen. In Samuel Barbers bekanntem Adagio für Streichorchester waren die Tempounterschiede mit accelerando, ritardando und rubato stark ausgeprägt. Mit jedem Instrument, das in das Thema mit einstieg, gewann das Adagio an Struktur, bis es endlich mit allen Streichern in sattem Ton erklingen konnte.
Ein allgegenwärtig betont schwerer Taktbeginn durchzog die abschließende Haydn-Symphonie Nr. 60 mit dem Titel „Il distratto“ (dt. „der Zerstreute“), genauso wie intensive Dynamikwechsel, kleines Diminuendo auf längeren Noten und breit gestaltete Phrasenenden. Von Radoslaw Sculz gegebene Bläser-Einwürfe kamen geradlinig und mit einem weichen Kern. Die fortlaufende Begleitbewegung des fünften Satzes in den Zweiten Geigen wurde mit dezenter Dynamik gestaltet und bot eine ausgewogene Basis für das mit eherner Ruhe gespielten Thema der ersten Geigen. Und endlich war man an der Stelle angelangt, die von den Kennern dieser Symphonie schon freudig erwartet wurde.
Der gewitzte Joseph Haydn schreibt vor, des Überraschungseffektes wegen, die Geigen mitten im Stück zu stimmen. Auf unterschiedliche Weise schon interpretiert, hielt das Kammerorchester es so, dass Radoslaw Sculz sich vorzeitig verbeugte, den Applaus entgegennahm und im Begriff, die Bühne zu verlassen, sich doch umentschied, zum Orchester zurücklief, seine Geige stimmte und den Einsatz für die letzten Takte des Finales gab. Diese Einlage brachte erwartet heiteres Gelächter und Begeisterung der Hörer.