Viele Jahre lang von Alfred Brendel gefördert und begleitet, ist der hochbegabte Pianist und Komponist Kit Armstrong zu einem der erstaunlichsten Musiker unserer Zeit gereift. Neben seines herausragenden musikalischen Talents verfügt der Amerikaner mit taiwanesischen Wurzeln über eine ebenso exzellente naturwissenschaftliche Begabung (er absolvierte unter anderem ein Mathematikstudium). Sein perfektes Deutsch brachte er sich im Selbststudium bei.
Mit einem sanften, beinahe scheuen Lächeln betrat Armstrong die Bühne des BASF-Feierabendhauses und schien mit seiner schmächtigen Statur fast in seiner Konzertkleidung zu verschwinden. Schützend wollte man die Arme um die zerbrechliche Erscheinung am Flügel legen, man fürchtete eine gnadenlose Ausschlachtung von Armstrongs Wunderkind-Qualitäten durch die sensationsgierige Klassikbranche.
Doch zum Glück sollten sich böse Vorahnungen (bis jetzt) nicht bestätigen, denn hinter dem scheuen Wesen verbirgt sich eine starke, gefestigte Persönlichkeit mit einer musikalisch kompromisslosen Haltung. Ein Ausnahmekünstler ist der junge Amerikaner auch deshalb, weil er sich nicht dem Virtuosendiktat mit entsprechend kraftmeierischem Repertoire unterwirft und nicht auf strahlende Virtuosität, sondern auf eine Werkauswahl setzt, die keinesfalls zum pianistischen Standard gehört: Armstrong spielt abseits jeden Marketing-Kalküls nur Musik, die ihn wirklich interessiert. Bach nimmt dabei eine zentrale Stellung ein.
Um den großen Thomaskantor herum war auch dieses Konzertprogramm konzipiert, erstaunlich gleich der Einstieg: Mit Carl Philipp Emanuel Bachs Klavierfantasie fis-Moll wählte der Pianist ein Stück, das für die Zeitgenossen des Bach-Sohnes zu den extrovertiertesten und bizarrsten Beispielen der Musik für Tasteninstrumente gehörte. Seine Musik ist ständig auf der Suche, nervöse Tonkaskaden in kleinsten Notenwerten wechseln mit Passagen voller Zurückhaltung, Motive und Themen werden angerissen und genauso schnell wieder verlassen. All das vollzieht sich in überraschenden Tempo- und Stimmungswechseln mit permanenten dynamischen Schwankungen. Unberechenbar und höchst subjektiv ist diese Musik. Welches Instrument könnte für die quasi-improvisatorischen Kapriolen besser geeignet sein als der moderne Konzertflügel mit seinem großzügigen dynamischen Spielraum?
Armstrong erlag weder den Verführungen des Instruments, noch missverstand er die spontane Empfindsamkeit der Musik als exaltierte pianistische Attitüde. Stets behielt er die Klangwelt des 18. Jahrhunderts mit ihren historischen Tasteninstrumenten im Blick. Dem im Vergleich zum Konzertflügel leiseren und gedeckteren Timbre von Klavichord und Cembalo trug Armstrong insofern Rechnung, dass er dynamisch niemals in Extreme verfiel, Fortissimo-Spiel wurde ausgeblendet. Stattdessen setzte er auf unzählige Schattierungen von piano und mezzoforte und kombinierte diese mit einer höchst differenzierten Pedalkultur nach dem Motto „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“
Jedem Motiv, jedem Ton nachspürend, jede Verzierung und jeden Triller grazil und brillant ausführend verlieh Armstrong der Bachschen Fantasie eine Eleganz, die niemals aufdringlich wirkte und gerade durch Zurückhaltung und „Understatement“ berührte. Auch seine Musizierhaltung ist, im Vergleich zu anderen Kollegen seiner Zunft, ganz und gar nach innen gerichtet, beinahe demütig, und bedarf keiner Manierismen und großen Gesten.