Die mediale Aufmerksamkeit, die Tschaikowskys Pique Dame im Vorfeld dieser Aufführungsserie an der Wiener Staatsoper zuteil wurde, war angesichts der rund um sie angesetzten – und auf dem Papier starbesetzteren – Werke gering. Allerdings war das Haus am Ring an diesem stürmischen Sonntagabend ausgesprochen gut besucht; bis zur letzten Vorstellung schien sich also schon herumgesprochen zu haben, dass es hier ein echtes Saisonhighlight zu erleben gibt.

Dmitry Golovnin (Hermann) und Elena Guseva (Lisa)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Unter der Leitung von Valery Gergiev tauchte das Staatsopernorchester in feinen dynamischen Schattierungen tief in die Abgründe der Handlung ein; der Dirigent ließ die Musik dabei in satten Farben schillern, schicksalsschwer brodeln – etwa in einem unheimlich spannungsgeladenen Piano als Hermann in die Gemächer der Gräfin eindringt – und verlieh Tschaikowskys Partitur dadurch eine ebenso berückend wie beklemmende Wirkung. Das Orchester hing dem Dirigenten dabei stets an den Lippen (beziehungsweise am Takt-Zahnstocher) und bot vom ersten Ton an Hochgenuss: die Streicher flirrten warm und homogen, die Holzbläser sorgten für melancholische Schönheit und das Blech beeindruckte mit strahlender Brillanz. Dabei blieb Gergievs Interpretation stets sängerfreundlich, er trug das Ensemble auf der Bühne regelrecht durch den Abend.

Dmitry Golovnin (Hermann)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Erstmals an der Wiener Staatsoper zu erleben war Dmitry Golovnin, der den Hermann darstellerisch intensiv auf die Bühne brachte, wobei er vor allem mit kleinen Details – etwa wirren Blicken – den Weg der Figur in den Wahnsinn packend zeichnete. Und auch in der Stimme wurden die Zerrissenheit und die zunehmende Verzweiflung Hermanns deutlich, wobei diese Interpretation dabei keinesfalls zu Lasten der Gesangslinie ging. Sein Tenor verfügt nämlich über ein warm schimmerndes Timbre, eine sichere Höhe – ganz zu Beginn des Abends wurde die Stimme dort zwar noch ein-, zweimal etwas eng, aber schon bald wurde der Klang auch in diesen Lagen frei – und auch über den nötigen metallischen Kern und die Kraft, die diese Partie erfordert. In der Rolle der Lisa setzte Elena Guseva mehr auf lyrische Innigkeit als auf ausladende Dramatik und dank Gergievs umsichtigem Dirigat funktionierte diese Interpretation auch ausgezeichnet, sie musste ihren Sopran daher nie über die Maßen forcieren. Die Stimme besticht vor allem in der Mittellage mit Farbenreichtum und Samtigkeit, während sie in der Tiefe jedoch an Substanz und in der Höhe tendenziell an Farben verliert. Ergreifend gestaltete Guseva vokal und darstellerisch die emotionale Achterbahnfahrt der Figur von mädchenhafter Verliebtheit über Melancholie bis hin zu purer Verzweiflung.

Olga Borodina (Gräfin)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Allzu oft wird die Gräfin mit einer sich im Spätherbst der Karriere befindenden Sängerin besetzt, weshalb man die Partie selten im engen Sinn des Wortes schön gesungen hört. Mit Olga Borodina hatte die Staatsoper nun aber eine Sängerin zu bieten, die man nur mit einem Wort treffend bezeichnen kann: Luxusbesetzung. Ihr Mezzosopran klingt so voll und rund wie eh und je, die Stimme fließt ohne Registerbrüche von der satten Tiefe über die üppige Mittellage bis in eine strahlende Höhe und transportiert dabei in jedem einzelnen Ton Emotion. Dazu kam die einnehmende Präsenz – wann immer diese Gräfin auf der Bühne stand war sie der unumstrittene Mittelpunkt des Geschehens.

Boris Pinkhasovich (Jeletzki) und Elena Guseva (Lisa)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Den Fürsten Jeletzki gestaltete Boris Pinkhasovich mit seinem elegantem Bariton voller Noblesse; in der Arie „Ja vas ljublju“ verband er großes, dramatisches Gefühl mit stimmlicher Leichtigkeit und vermittelte die Gefühlswelt des Charakters so anrührend, dass man nicht ganz nachvollziehen konnte, warum Lisa ihn nicht einfach heiratet. Alexey Markov konnte als Tomski in der Erzählung der Geschichte der Gräfin und der drei Karten seine Stärken wunderbar ausspielen, indem er mit Schönklang packendes Storytelling bot. Stark besetzt waren überwiegend auch die kleinen Rollen, hier fielen insbesondere Artyom Wasnetsov als Surin und Monika Bohinec als Polina positiv auf; und auch der Chor erwischte einen exzellenten Tag, da sich die einzelnen Stimmen ideal zu einem Gesamtklang fügten.

Dmitry Golovnin (Hermann), Elena Guseva (Lisa) und Boris Pinkhasovich (Jeletzki)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Szenisch blieb der Abend hingegen weitgehend unauffällig, in der Inszenierung von Vera Nemirova spielen sich alle Handlungsstränge in einem Einheitsbühnenbild – nämlich einem verfallenden Anwesen, das anfangs als Waisenhaus, dann als Palais der Gräfin und schließlich auch noch als Casino herhalten muss – ab. Dieses Setting sorgt optisch dank des morbiden Charmes zwar für einige schöne Bilder, aber obwohl für diese Aufführungsserie eine szenische Neueinstudierung vorgenommen wurde, scheint einiges an Personenregie bei den zahlreichen Nebenrollen verloren gegangen zu sein und so schafften es nicht alle Sänger, die (Inter-)Aktionen ihrer Figuren auch darstellerisch vollends überzeugend und dreidimensional darzustellen. Angesichts der hervorragenden musikalischen Qualität der Vorstellung geriet dieses kleine Manko aber ohnehin nur zur Randnotiz.

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