Ein zeitgenössischer Komponist, der sein Werk selbst dirigiert, das ist heutzutage ein seltener Glücksfall und für neugierige Opernliebhaber mit Repertoire-Burnout schon per se ein Ereignis, welches man nicht versäumen darf. Die Rede ist von Thomas Adès und seiner Oper The Tempest, deren Uraufführung 2004 sich das Royal Opera House in Covent Garden auf die Fahnen heften darf, und welche seither an bedeutenden Bühnen inklusive der New Yorker Metropolitan Opera zu sehen war.

So viel Anerkennung ist natürlich kein Zufall, sondern die Frucht von Talent und Arbeit. Wie Adès' verschiedene Einflüsse von Monteverdi bis Britten (um nur die offensichtlichsten zu nennen) zu seiner eigenen musikalischen Sprache verschmilzt, ist spannend und erinnert in der Gleichzeitigkeit verschiedener Einfälle manchmal an Texte von Elfriede Jelinek, in denen sich ein Wort aus dem anderen organisch ergibt, variiert und bis ins Gegenteil verkehrt wird. Dass diese Musik, die noch dazu die eine oder andere barocke Form erkennen lässt, weitgehend tonal ist, macht sie auch konservativen Hörern zugänglich.

In seiner Librettistin Meredith Oakes fand Adès zudem eine kongeniale Partnerin, welche ihm die große literarische Vorlage, also Shakespeares Der Sturm, operngerecht (drei statt fünf Akte) und auf die Struktur seiner Musik zuschnitt – dass komplexe Musik am besten mit klarem Text gesungen wird, war schon zu Zeiten Händels nichts Neues. Puristen mag das nicht gefallen, trotzdem darf man Oakes' sprachliche und inhaltliche Reorganisation des Sturms als gelungenen Versuch „frei nach Shakespeare“ bezeichnen.

Weniger geglückt ist hingegen die Inszenierung von Robert Lepage und seiner Theaterkompanie Ex Machina, die bereits in Québec und New York zu sehen war. Die Idee vom „Theater auf dem Theater“ ist zwar gerade in diesem Stück, das Prosperos Insel als Theater und das Theater das Abbild der Welt deutet, sehr reizvoll, doch wird sie von Lepage hauptsächlich zur Bewältigung bühnenlogistischer Probleme genutzt (Ariel „fliegt“ und turnt auf einem Kronleuchter, der Bühnenunterboden wird im dritten Akt zum Schiff).

Weshalb sich Prospero auf seiner Insel die Mailänder Scala (die man in verschiedenen Innenansichten präsentiert bekommt) nachgebaut oder herbeigezaubert hat, erschließt sich ausschließlich aus der Tatsache, dass Prospero der gestürzte Herzog von Mailand ist. Somit wirkt das Ganze eher zufällig und man ist überrascht, dass gerade Lepage, der schon viel Erfahrung mit dem Stoff des Sturms vorzuweisen hat, nicht mehr daraus gemacht hat – von der handwerklich soliden Personenregie einmal abgesehen. In jedem Falle war alles schön anzusehen, wobei die Kostüme von Kym Barrett und Michel Beaulieus zauberhafte Beleuchtung am meisten auffielen.

Thomas Adès gelang es über weite Strecken, das Staatsopernorchester von „seinem“ Klang zu überzeugen, auch wenn man an einigen Stellen herauszuhören vermeinte, dass letzteres lieber Wozzeck, Tristan oder den Rosenkavalier zum Besten gegeben hätte. Das ist wohl auch der Schwierigkeit der Partitur geschuldet, auch wenn die Instrumentalisten anerkennen müssen, dass die Sänger am deutlichsten herausgefordert werden, und zwar in erster Linie im Stimmumfang. Am meisten überzeugte dabei die Koloratursopranistin Audrey Luna mit ihrer idealen Verkörperung von Ariel – es dürfte schwierig sein, eine ähnlich adäquate Besetzung für das hohe Gezwitscher zu finden, das Adès in die Partie geschrieben hat; gleiches gilt für die tänzerische Interpretation, die ihr von Lepage und seiner Kompanie zugemutet wird. Neben Audrey Luna gab es mit Countertenor David Daniels, der hauptsächlich als Interpret der großen Händel-Titelpartien bekannt ist, ein weiteres geglücktes Hausdebüt und den Beweis, dass man auch in einer Mini-Rolle wie dem Säufer Trinculo Eindruck machen kann.

Leider schien die Besetzung der übrigen Rollen aus Ensemblemitgliedern weniger überlegt, was vor allem für Adrian Eröd als Prospero galt. Darstellerisch ist dieser Wiener Publikumsliebling fraglos immer ein Erlebnis, doch ist sein stimmliches Material für diesen Prospero, vom Anspruch her eher ein Wotan, speziell in der Tiefe zu dünn. Für die Tenöre (Thomas Ebenstein – Caliban, Pavel Kolgatin – Ferdinand, Herbert Lippert – König von Neapel, Jason Bridges – Antonio) hat Adès mitunter traumhaft schöne Gesangslinien geschrieben, doch agierten die Genannten nicht immer auf der Höhe der Anforderungen. Immerhin war Ferdinands große Szene mit Miranda ein vokaler Höhepunkt und Thomas Ebenstein gestaltete seinen Caliban zwar nicht makellos, aber doch ansprechend. Besser in Szene setzen konnten sich die dunklen Stimmen (die Bässe Dan Paul Dumitrescu und Sorin Coliban als Stefano und Gonzalo sowie David Pershall als Sebastian), denen es der Komponist aber auch leichter als den anderen macht. Stephanie Houtzeel als Miranda zeigte zwar Bühnenpräsenz, blieb aber stimmlich farblos.

Alles in allem gibt es für The Tempest an der Staatsoper noch Verbesserungspotential, doch darf man sich fürs Erste darüber freuen, dass es überhaupt gelungen ist, ein so interessantes zeitgenössisches Werk auf die Bühne zu holen – ein Erlebnis war es allemal.

Das Publikum bejubelte die Premiere stürmisch, und auch die Regie erfuhr keinen Widerspruch. Mit seinen Festwochen-Schauspiel-Produktionen hat sich Robert Lepage in die Herzen der Wien gezaubert, und so denkt man unwillkürlich an Staatsopern-Regiealtmeister Otto Schenk und andere Publikumslieblinge: Es wird immer auch ein wenig die Erinnerung an Vergangenes mitbeklatscht.



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