Dass vier Kinder – aus jeweils unterschiedlichen Haushalten – für die Weihnachtszeit zusammenkommen, ist dieses Jahr nicht so einfach möglich oder zumindest trotz Ausnahmen bei der sogenannten Kernfamilie epidemiologisch nicht unbedingt wünschenswert. In Thüringen zum Beispiel, der Heimat der Familie Bach. Da ist es ein symbolischer Zufall, dass das Barockorchester der Oper Zürich, La Scintilla, die vier komponierenden Bach-Söhne vereinte, nachdem und bevor der Vater im Mittelpunkt stand und wieder stehen wird. Nicht zuletzt dank der stets innovativen und zupackenden Art von Chefgast Riccardo Minasi wirkte das Konzert dabei tatsächlich so, als brachten die Geschwister ein Geschenk mit, um damit von den Neuigkeiten aus ihrem Leben zu plaudern und ihre Einfälle zu präsentieren.
Und da kann es auch mal die ein oder andere Dissonanz geben. Diese musikalisch-harmonisch neue Sprache prägte das oft nicht wirklich Anklang findende Schaffen von Wilhelm Friedemann Bach, der wie in seiner danach betitelten F-Dur-Symphonie mit Viertelton-Verschiebungen und Überlappungen arbeitete, um gehört zu werden. La Scintillas Redewendungen lebten darin nicht allein von den Harmonien, sondern von herausgeformten Kontrasten. Im Vivace tönten bissige Vorschläge und Akkorde, vor jedem acceleriertem Impuls verströmten dort kurze ruhige Luftholer eine Prise Gelassenheit, während ein im Grundmodus leiser dagegengestelltes Andante mit crescendierenden Aufgängen pikiert, verschmitzt und in berechnender Aufmerksamkeit umher stolzierte. Die Streicher beherrschten die Ausdrücke des großen Bruders einerseits mit einmassierender Bogenphrasierung, andererseits mit der Attitüde eines spannenden, erwartungsvollen Verdutztseins, dass es dazu kommt. Schnelle Verstörung trat mit den bei den Violinen überspringenden energischen Figuren an Kleinstnotenwerten im Allegro auf, das sich nach neuer Ordnung sehnte; Versöhnung dann ließ sich mit dem munter schwingenden, royalen Menuetto betreiben, in dem das Cembalo auch mildere Empfindsamkeiten per Lautenzug anschlug.
Johann Christoph Friedrich Bachs Konzert für Pianoforte, Obligat-Viola, Streicher, Basso Continuo sowie zwei Oboen und Hörner ad libitum darf vom späteren Stil als das klassischste Geschenk gelten, von der Besetzung her allerdings als das ungewöhnlichste. Natürlich tragen Pianoforte und Bläser in brüderlich gewollter Unterscheidung ganz verschiedene Farben hinein, zugleich provozieren solistisches Tasten- und Streichinstrument aber eine selbstverständliche Gemeinsamkeit. Sie gelang Mahan Esfahani und Karen Forster im Allegro con brio in ihrer leidenschaftlichen Verve, wobei die darmbesaitete Bratsche in ihren Verwertungen der Wärme und viel Lebensfreude ausstrahlenden thematischen Figur kleine technische Limiterungen erfuhr, wohingegen das Neupert-Hammerklavier mit faszinierender Wandelbarkeit in den Figuren und sehr melodiösen Linien bestach, als Esfahani mit seiner ganzen Artikulationspalette größtes Interesse an Mitbringsel und Seelenleben unter den Baum legte. Das Orchester wartete mit zahlreichen dynamischen und spielerischen Effekten auf, die die symphonische Größe des Doppelkonzerts untermauerten und mit denen Minasi das Kunststück gelang, sowohl in der atmenden, die Viola in den Mittelpunkt rückenden, Romanze als auch im bunt gemischten Rondo-Allegretto lechzende Bedeutungsschwere, legere Leichtigkeit und kindliche Verspieltheit im Überschwang zu verpacken.
Am Neupert-Doppelmanual-Cembalo für Johann Christian Bachs Konzert in f-Moll wirbelte Esfahani über die Tasten, feuerte aus allen Rohren und Registern, wozu die Begleitung mit höchster Bezuckerung garnierte oder fulminant miteinstimmte. Schien der zweite Satz manchmal etwas entspannter, erwies sich dessen operale Theatralik mit entzückendem Triller-Festival als herzergreifend. Den Vater Bach hätte er besonders mit dem virtuosen Finale in Verzückung versetzt, als Triller und Arpeggien Anklänge an die Orgel hervorriefen und in toto eine meisterliche, überraschende Kombination aus Alt und Neu vorstellten, die in Minasis und Esfahanis Darbietung als husarenberittene Wucht durchgehen.
Für ein regelrechtes Durchrauschen sorgte CPE Bachs Fandango-Sinfonia, die unter den Händen des Dirigenten vor revolutionärem Sturm und Drang brodelte und bei La Scintilla unnachgiebigen Enthusiasmus auslöste. Die hinzugekommenden Traversflöten durften mit Musenton besänftigen, ehe das markante, schroffe Flirren des Schluss-Allegros die Assoziation harschen Aufreißens des Geschenkpapiers beflügelte. Bei derartig viel Austausch und Entdeckung fiel der Abschied schwer und so grüßte mit dem Zuwinken Minasis die Wiedersehensfreude über eine familiäre Rückkehr mit neuen spannenden Erfahrungen.
Die Vorstellung wurde vom Livestream der Oper Zürich rezensiert.