Gustav Mahler und das Royal Concertgebouw Orchestra – das ist eine Liebesgeschichte, bei der es von Anfang an gefunkt hat. Willem Mengelberg, der das Orchester während fünf Jahrzehnten leitete, war ein enger Freund und grosser Förderer Mahlers. Mehrmals wurde Mahler von ihm nach Amsterdam eingeladen, um das niederländische Orchester zu dirigieren. Letztmals geschah dies im Herbst 1909, als Mahler dort Wagners Meistersinger-Vorspiel und seine eigene Siebte Symphonie aufgeführt hat. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg führten Chefdirigenten wie Bernard Haitink, Riccardo Chailly und Mariss Jansons die Mahler-Tradition des Orchesters fort, die bis in die heutige Zeit andauert.

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Iván Fischer
© Patrick Hurlimann | Lucerne Festival

An das diesjährige Lucerne Festival kam das Concertgebouw Orchestra, dessen Chefposten seit dem unrühmlichen Weggang von Daniele Gatti im Jahr 2018 verwaist ist, mit Iván Fischer angereist. Fischer, selber Gründer und Leiter des Budapest Festival Orchestra, ist seit zwei Jahren Ehrengastdirigent der Königlichen. Und was führten die Gäste aus Amsterdam im Reisegepäck? Wagners Meistersinger-Vorspiel und Mahlers Siebte – ein Zufall darf da ausgeschlossen werden.

Der Zusammenhang zwischen den beiden Kompositionen besteht darin, dass Mahler im letzten Satz seiner Symphonie das Hauptthema des Vorspiels zitiert – oder parodiert, wie andere das sehen. Der letzte Satz der Siebten mit seinem affirmativen Gestus und dem besagten Wagner-Zitat ist denn auch die Knacknuss der Mahler-Exegeten und -Interpreten. Welcher Teufel kann den zum Katholizismus konvertierten Juden Mahler geritten haben, in Wagners Loblied auf die deutsche Kunst einzustimmen? Zwar war Mahler durchaus ein Verehrer von Wagners Musik, aber dessen Antisemitismus ist ihm natürlich nicht verborgen geblieben.

Wie deutet Iván Fischer, der selber aus einer jüdischen Familie stammt, diesen Schlusssatz? Als Parodie jedenfalls nicht. Der triumphale Gestus des Rondo-Finale hat bei Fischer nichts Ironisches, sondern ist durchaus affirmativ gemeint. Das muss man nicht zwingend auf Wagner beziehen. Fischer deutet Mahlers Finale, so will es beim Anhören scheinen, als rein musikalische Antwort auf den ersten Satz. Den monströsen Kopfsatz der Symphonie gestaltet er als grosse Schlacht, als Kampf des Individuums gegen das Weltgetümmel. Und im Finale ist dieser Kampf gewonnen, ist der Sieg errungen. Es ist die seit Beethovens Fünfter in der Symphonik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts anzutreffende Idee „Per aspera ad astra”, die auch in Mahlers Siebter verwirklicht ist.

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Iván Fischer dirigiert das Royal Concertgebouw Orchestra
© Patrick Hurlimann | Lucerne Festival

Bis zum Sieg ist es jedoch ein weiter Weg, gespickt mit etlichen Umwegen, die das Concertgebouw Orchestra zurücklegen muss. Der Klangkörper zeigt sich an diesem Abend in phänomenaler Verfassung. Astrein gerät gleich zu Beginn das heikle Solo des Tenorhorns, und gestochen scharf klingen anschliessend in allen Registern die punktierten Rhythmen des Trauermarsches. Bei den Streichern ist mit der Konzertmeisterin und den Stimmführerinnen bei den zweiten Violinen, den Bratschen und den Celli Frauenpower angesagt. Die männlich dominierten Kontrabässe sind, anders als üblich, hinter den Holzbläsern in einer Reihe aufgestellt und bilden so eine Trennwand zum Blech und zum Schlagzeug. Mit den Hörnern links und den Trompeten, Posaunen und der Tuba rechts ergeben sich sinnfällige Stereowirkungen.

In den drei Mittelsätzen gestaltet Mahler mit den beiden Nachtmusiken und dem Scherzo ein Schattenreich, das unheimlich und bizarr anmutet. Was Fischer hier an ausgefallenen Klangfarben aus dem Orchester herausholt, ist atemberaubend. Im koboldartigen Allegro moderato sind es der Dialog von erstem und dritten Horn, aber auch der entrückte Klang von Herdenglocken, der in Erinnerung bleiben. Rhythmische Raffinesse offenbart das Scherzo, eine Art von Walzer, der immer wieder ins Fratzenhafte umschlägt. Die zweite Nachtmusik, Andante amoroso, führt dann in sanftere Gefilde. Der liebliche, kammermusikalisch aufgehellte Satz wird von brillanten Soli der Violine, des Horns, der Harfe und – eigens für diesen Satz aufmarschiert – einem Mandolin- und einem Gitarrespieler angeführt.

Nachdem der Kampf des supponierten Individuums im ersten Satz in einer Niederlage geendet hat, taucht dieses in den Mittelsätzen zuerst in eine zutiefst verstörende, dann in eine romantisch-versöhnliche Nachtschattenwelt ab, um im Finale siegreich wieder zu erstehen. Fischer öffnet in der abschliessenden Stretta alle Schleusen und feiert einen schier ohrenbetäubenden Triumph. Mit Wagner hat dies nichts zu tun.

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