Nicht nur die Kritiker beeindruckte Speranza Scappucci bei ihrem Debüt an der Opéra Royal de Wallonie-Liège in Liège. Die italienische Dirigentin strotzt vor Vergnügen und Energie und ihr Dirigat von Jérusalem (Verdis Überarbeitung von I Lombardi) letzten März fuhr ihr die Bestellung zur neuen Chefdirigentin des Hauses ein, innerhalb weniger Monate. Die zweite Spielzeit mit ihr an der Spitze wurde soeben angekündigt, mit neun Opern – acht von ihnen italienisch, was die Spezialität des Hauses reflektiert.
Liège ist eine reizende Stadt, überwiegend französischsprachig, die Geburtsstadt von César Franck und Eugène Ysaÿe. Im Osten von Belgien, liegt es nicht weit von der niederländischen Grenze entfernt. Tatsächlich ist es Wilhelm III. von Oranien-Nassau zu verdanken, dass das Theater errichtet wurde, das heute das Haus der Opéra Royal de Wallonie ist. In 1816 trat der König ein Stück Land an die Stadt ab – an der Stelle eines früheren Dominikanerkonvents – unter der Bedingung, dass an diesem Platz ein Theater gebaut werden sollte. Das Théâtre Royal de Liège wurde 1820 fertiggestellt, das Auditorium ist klassisch italienisch. Das Theater unterging zwischen 2009 und 2012 einer großen Renovation, und ist ein kleines Juwel, mit gerade einmal 1041 Sitzplätzen.
Italienische und französische Kost liegt hier an der Tagesordnung. Man muss schon bis zur Saison 2014/15 zurückblicken, um eine deutsche Oper zu finden (Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor). Die Spielzeit startet mit einem von Verdis großartigsten Werken aus seinen mittleren Jahren, Il trovatore. Vollgepackt mit knackigen Melodien, ist es eine Oper, die heutzutage wegen ihrer verworrenen Handlung selten gespielt – oder ernstgenommen – wird. In der Fernsehserie Friends hätte Trovatore wohl den Untertitel „Die, in der sie das falsche Baby verbrennt” und die Gutgläubigkeit wird oft überzogen, wenn zwei Männer – die, wie sich herausstellt, Brüder sind – um die Hand derselben Frau wetteifern. Nichtsdestotrotz ist die Musik leidenschaftlich und heißblütig und die Melodien bleiben für Tage im Gedächtnis. Stefano Viziolis Inszenierung wurde hier das letzte Mal 2011 gezeigt und kehrt mit einer Besetzung, angeführt von Fabio Sartori als Manrico, Mario Cassi als Grafen und Yolanda Auyanet als Leonora zurück. Violeta Urmana singt Azucena, die Zigeunerin, die im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Feuer spielt.
Sie müssen sich bis nächsten Februar für die erste Premiere gedulden, aber dann kommen sie in einer wahren Flut, mit vier Neuinszenierungen von Klassikern des italienischen Repertoires, zwei von ihnen von Speranza Scappucci selbst dirigiert. Aida ist für jedes Opernhaus ein Test, nicht zuletzt, weil das Publikum – zu Recht oder zu Unrecht – ein großes Spektakel inklusive Pyramiden erwarten. Aber abseits des Triumphmarsches ist Aida ein einfaches Liebesdreieck, in dem die zwei Frauen Prinzessinnen von verfeindeten Nationen sind! Stefano Mazzonis di Pralafera, Intendant des Hauses, nimmt Verdis Geschichte von Liebe und Krieg im Alten Ägypten in Angriff. Serena Farnocchia ist in einem Haus dieser Größe eine gute Besetzung für Aida, neben Nino Surguladze als Amneris (eine Rolle, die sie bereits in Lièges früherer Inszenierung 2014 gesungen hatte). Gianluca Terranova ist Radamès, während der belgische Bariton Lional Lhote (ein Stammgast des Hauses) Amonasro, Aidas Vater und ägyptischer König, ist.