Am vergangenen Abend läutete Wien Philippe Jordans Amtszeit als neuer Chefdirigent der Wiener Symphoniker mit einem offiziellen Einstandskonzert ein. Obwohl Jordan und die Symphoniker schon viele Liaisonen gehabt haben, ist dieses Konzert der Anfang einer ganz neuen Ebene in ihrer Beziehung und war aus diesem Grunde ein heiß ersehnte Veranstaltung.
Jordan ist ein perfekter Dirigent. Etwas an seiner Technik scheint beinahe zu perfekt – eine ideale Mischung aus Flexibilität und Präzision scheinen seine Gesten zu durchdringen, und mit der Haltung eines Tänzers ist er auch optisch eindrucksvoll –, seine Sichtweise ist ideal und frisch und doch voller Fluss und Energie. Man könnte ihn Roboter nennen, aber nur im positivsten Sinne. Er mag wohl einer dieser futuristischen, Asimow-inspirierten Androiden sein, die perfekter sind als bloße Sterbliche, ohne dabei ihren menschlichen Charme zu verlieren.
Schuberts Erste Symphonie eröffnete den Abend. Dieses Werk, komponiert im zarten Alter von 16 Jahren, zeigt, was man von einem ambitionierten Teenager-Genie erwarten würde: seine profunde Kenntnis der klassischen Form und seine Vorliebe für schöne Melodien, und sie verrät sein erstaunliches Potential. Voller musikalischer Zitate sind Schuberts eigene Themen generell nur moderat entwickelt und werden oft ausführlich sequenziert und wiederholt. Von Perfektion ist sie weit entfernt – der zweite Satz ist vergleichsweise lang für die Menge an musikalischem Material, das er enthält, und die Orchestrierung – Doppelungen im hohen Blech beispielsweise – führen zu Balanceproblemen. Die Symphonie besitzt jedoch einen jugendlichen Charme, und war gekonnt gespielt..
Janáček sprach da eine gänzlich andere musikalische Sprache. Er war der König der geschichteten Ostinati mit sich ändernder, rhythmischer Bewegung, und er liebte es, Metrum und Schlag zu verschieben – die Hemiole ist wie sein zweites Zuhause. In Verbindung mit seiner einzigartigen Mischung von Volksmelodie und dunklen, modalen Harmonien gibt das seiner Musik ein Flair, das nur ihm gehört. Mša glagolskaja,, uns bekannt als Glagolitische Messe, setzt sich aus acht Sätzen zusammen, deren erster und letzter gänzlich instrumental sind. Der „Úvod“ (Einleitung) folgt ein düsteres „Gospodi pomiluj“ (Kyrie), das von tiefen Holzbläsern dominiert wird und den Chor vorstellt. Das „Slava“ (Gloria) ist voll von rhythmischem Wechselspiel von 4 gegen 3, das ausgedehnte „Vĕruju“ (Credo) ist geprägt von einfachen Volksmelodien, chromatischen Unterbrechungen, metrischen Verschiebungen und instrumentalen Einwürfen zwischen den solistischen Passagen. Der fünfte Satz, „Svet“ (Sanctus), bietet herrliche Formeln von Sopran, Tenor und Bass, und das darauf folgende „Agneče Božij“ (Agnus Dei) beginnt solistisch und bricht dann in einen frenetischen Tanz von Chor und Orchester aus. Der vorletzte Satz, „Varhany solo“ (Nachspiel), ist ein einzigartig schweres Orgelsolo (bravo, Robert Kovács!), und der instrumentale Auszug, „Intrada“, rundet das Werk mit besonders beeindruckender Leistung der Blech- und Holzbläser ab.
Die Wiener Singakademie leistete bemerkenswerte Arbeit in diesem schwierigen Stück, und die Gesangssolisten verdienen ebenfalls ein großes Lob. Die volle Stimme der Sopranistin Ricarda Merbeth war während des ganzen Konzertes immer ein willkommener Begleiter, ebenso das außergewöhnliche Timbre des jungen Basses Alexander Vinogradov. Tenor Torsten Kerl wurde hier eine Stimmlage geboten, die gerne in der Stratosphäre hing. Jeder Ton saß, aber die etwas schmalere Qualität seiner Stimme erschwerte es, sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen, wann immer er in die mittlere oder tiefe Lage wechselte. Maria Prudenskaja klang in allen drei Solopassagen für Mezzo sehr schön.
Die Wiener Symphoniker sind ein gesegnet solides Orchester. Ich habe sie schon mit mehr Inspiration, besserer Intonation und synchroneren Akzenten gehört, aber die Musiker sind so kompetent und beeindruckend wie ihr neuer Dirigent. Die einzige Frage, die ich zu stellen wagen würde, betrifft die eher merkwürdige Kombination dieser beiden Orchesterwerke. Die Schubert-Symphonie besitzt einen gewissen Charme, doch wären Schuberts spätere Kompositionen nicht derart meisterlich, wäre sie kein Werk, dass für sich alleine stehen kann. Warum setzt man sie zusammen mit einer Komposition aufs Programm, die so einen so grundlegend anderen Charakter hat? Kulinarisch gesprochen war es so, als hätte man zunächst winzige Vanillekipferl serviert bekommen, und erst dann einen bis zum Rand gefüllten Teller mit gebratener Ente und würzigem Kohl, gefolgt von einem Gläschen hausgebranntem Schnaps. Der Hintergrund mag wohl in der örtlichen Vorliebe für klassische, germanische Musik liegen, doch für die kommende Spielzeit würde ich mir ein Programm von den Symphonikern wünschen, dass in sich besser zusammenpasst.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck