Obwohl es allgemein als Berlins „anderes Orchester“ gesehen wird (genauer gesagt, eines von vielen neben dem Philharmonischen), kann die Staatskapelle Berlin auf eine große Geschichte zurückblicken, die bereits 444 Jahre andauert. Zu ihrer Starbesetzung an ehemaligen Leitern gehört Richard Strauss, der das Orchester hunderte Male im Opernhaus dirigierte. Seine Amtszeit begann 1898, genau zu der Zeit, in der er die Orchestrierung für Ein Heldenleben fertigstellte. Man hatte wohl deshalb das Gefühl, dass das Orchester sich in diesem Strauss-Programm im Geiste ganz zu Hause fühlte. Körperlich aber spielte es außer Haus: Das Konzert fand in der Philharmonie statt, denn deren Heimatorchester war gerade auf Tour.
Da der Erlös dieses Konzertes der Rekonstruktion der Staatsoper Unter den Linden zugute kommen sollte, deren Hausorchester die Staatskapelle ist), gab es natürlich auch eine Gesangsnummer im Programm. Der Evergreen Vier letzte Lieder war da die offensichtliche (und für ein Konzert bevorzugte) Alternative zu einem Opernauszug. Die Lieder in die erste Konzerthälfte vor das viel frühere Heldenleben zu setzen war eine interessante chronologische Umkehrung und warf ein paar faszinierende Vor-Echos auf, so zum Beispiel die prominente Solo-Violine im dritten und vierten Lied. Sie erhielt retrospektive Klärung in der deutlich ausgedehnteren Charakterisierung des Helden Gefährtin durch das gleiche Instrument, wo es berühmterweise ein Portrait von Strauss' Frau Pauline darstellt. Im früheren Werk ist sie äußerst kapriziös, was sich mit dem Eindruck von ihr deckt, den wir von Alma und Gustav Mahler bekommen. Im vierten Lied jedoch, „Im Abendrot“, in dem das lyrische Ich neben seiner Gefährtin mit seiner Sterblichkeit konfrontiert wird, bekommt sie eine lyrischere, ruhigere Präsenz. Eine schöne tonale Verbindung ergab sich auch zwischen dem Es-Dur-Abschluss dieses Liedes und dem Anfang der Tondichtung in der gleichen Tonart nach der Pause.
Im ersten Lied, „Frühling“, verbrachte ich die meiste Zeit damit, die fantastische Homogenität des Streicherklangs zu genießen, der sowohl Produkt der Akustik als auch des Spielens war. Im zweiten und dritten Lied galt meine Aufmerksamkeit ganz Anna Netrebkos voller Stimme, deren Klangfarbe sie bewundernswert abstimmte. Die letzte Zeile von „September“ war einfach magisch (zugegeben, sie ist eine von Strauss' großartigsten Sätzen überhaupt), obwohl das Horn-Echo nicht ganz makellos war. Ihr hohes B in „Beim Schlafengehen“ war in keinster Weise gedrängt, nicht einmal ein Ereignis, es war einfach da, eingebettet in den Höhepunkt der Phrase, und Netrebko gab auch dem letzten Ton des Liedes noch eine herrliche Wärme. Vielleicht öffnete sie sich erst im letzten Vers des letzten Liedes völlig, dann aber nahm sie sich wieder ein wenig zurück für eine geraunte, letzte Frage: „Ist dies vielleicht der Tod?“
In Barenboims Händen war Ein Heldenleben eine Offenbarung . Nie zuvor habe ich so sehr das Gefühl gehabt, dass das Orchester eine Verlängerung des Dirigenten ist. Das soll nicht heißen, dass die Musiker etwa mechanisch gespielt haben, ganz im Gegenteil. Ihr Engagement war praktisch greifbar, und doch reagierten sie äußerst feinfühlig auf ihren Dirigenten und formten ihre Phrasen nach seinen Gesten. In den 22 Jahren, in denen Barenboim das Orchester nun schon leitet, hat er sich eine enge Verbindung zu den Musikern erarbeitet, die allerlei subtile Tempowechsel erlaubt. Vom ersten hochschnellenden Arpeggio an, das so zusammenhängend wie ein Wasserstrahl klang, war dieses Werk heroisch, ohnje bombastisch zu sein (immer ein Risiko beim Heldenleben). Im weitläufigen ersten Abschnitt fanden sich viele feine Nuancen in Dynamik und Tempo als die Musik, die die Widersacher (d.h. die Kritiker) repräsentiert, angemessen spitz gespielt wurde. Wolfram Brandls Solo war weniger extrovertiert als manch andere, aber er gab des Helden Gefährtin dennoch eine starke Charakterisierung. Die „Schlacht“ wurde mit viel Enthusiasmus gespielt, und das Klangbett der Harfe zu Beginn von „Des Helden Friedenswerke“ war einfach hinreißend, jeder Ton hörbar aber ungezwungen. In diesem Abschnitt genoßen Bass und Sopranklarinette ihre dissonanten Einwürfe (Themenzitate, die man mit Sancho Panza beziehungsweise Till Eulenspiegel verbindet) sichtlich, und das Englischhorn-Thema war gleichermaßen denkwürdig. Die Streicher waren immer frisch, und die Blechbläser und das Schlagwerk boten eine solide Leistung inmitten der wahnsinnigen Anforderungen dieser Partitur.
Das Publikum spendete lange Ovationen und viele Blumensträuße, die Barenboim an seinen Konzertmeister weiterreichte. Man verbinde beliebte musikalische Werke, die unglaubliche Akustik der Philharmonie, enthusiastisches Spiel und überragende Leitung für ein solch magisches Ereignis. Wie man in Deutschland sagt: ganz ausgezeichnet!
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck