Zweimal in dieser Spielzeit hat Markus Poschner in Berlin für einen anderen Dirigenten das Dirigat übernommen, und in beiden Konzerten konnte er eindrucksvoll zeigen, dass er weit mehr als ein großer „Einspringer“ ist. Diesmal war es für Tugan Sokhiev beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin.

Begonnen hat der Abend mit einem Beitrag zum Motto „Kein Konzert ohne Komponistin“, unter dem das DSO Berlin in dieser Saison aufgetreten ist: Clara Schumanns Klavierkonzert a-Moll zu hören. Jean-Frédéric Neuburger verfügt über eine feinsinnige Virtuosität, die er unter anderem dazu gebraucht, um in den Ecksätzen zu zeigen, dass sich in ihnen nicht etwa eine Episode an die andere reiht, sondern alles auseinander entwickelt ist. Seine Finger liefen schnell über die Tastatur und ließen einen glasklaren Fluss entstehen, der nur einmal unterbrochen wurde: im zweiten Satz, in dem Neuburger gemeinsam mit dem ersten Solo-Cellisten Mischa Meyer eine Duo-Romanze zu spielen hatte, die beide inniglich musizierten und sich dabei jeder Larmoyanz enthielten.
Im Finale wurde bei allem Schwung der Akzent auf die Verdeutlichung der Form gelegt. Auch im kapriziösen, von Quintolen, Sextolen und Septolen durchsetzten zweiten Thema war die Darbietung klassizistisch und von Brillanz charakterisiert. Für den überaus herzlichen Beifall bedankte sich Jean-Frédéric Neuburger mit Clara Schumanns Lied Ich stand in dunklen Träumen aus ihren Sechs Liedern, Op.13 auf Gedichte Heinrich Heines in der Klavierfassung.
Ich kann mich an kaum eine Aufführung von Bruckner mitreißender Vierten Symphonie – hier in der Fassung von 1888 – erinnern, in der die Hörner nicht doch irgendwann patzten. Nicht an diesem Abend! Doch das von Solohornist Bora Demir angeführte Quartett wusste nicht allein technisch zu beeindrucken, sondern gab mit seiner elastischen Tongebung dem ganzen Orchester die Richtung der Aufführung vor. Mit federleichter Wendigkeit, sowie einem schier unendlichen Reichtum an Phrasierungsfantasie erklang ein schillerndes Geflecht aus den vielen Imitationen des Eröffnungsmotivs.
Die Aufführung lebte zwar von Poschners Ideal, Bruckner von allem Weihrauch und anderem Übergewicht zu entschlacken; doch dort, wo es geheimnisvoll sein durfte, wie etwa am Übergang zur Durchführung im ersten Satz und vor allem in der das Werk beschließenden Coda, vermochte das DSO dies auch zu Gehör kommen zu lassen.
Bewundernswert war es auch, dass die einzelnen Stimmen niemals im Orchestertutti untergingen – besonders schön gelangen darum die Doppelkantilenen in den gesangvoll vorzutragenden Passagen. Wenn z.B. im zweiten Satz die unendliche Melodie des Prozessionsthemas in zwei Instrumentengruppen aufgeteilt wurde, dann wuchsen die Bratschen und Violoncelli zwar zu einem Instrument zusammen, doch der Ton war nicht undifferenziert gemischt worden, sondern in eine helle und eine dunkle Hälfte getönt, so dass ein so nie gehörtes Ineinander entstehen konnte.
In dieser auf großer Partiturkenntnis beruhenden Aufführung dienten selbst die oft nebensächlich behandelten „Treibemotive“ nicht allein dazu, in die Höhepunkte zu jagen, sondern breiteten, so sorgfältig und fein variiert vorgetragen, den grandiosen Themen jeweils den Teppich aus. Sehr überzeugend konnte mit nicht in der Partitur vermerkten kleinen Crescendi und Ritardandi eine allzu blockhafte Form vermieden werden.
Im Finale wurde das kolossale Hauptthema nicht klotzig, sondern fast holzschnittartig präsentiert. Ein Gewicht wurde im ganzen Satz nicht allein auf die Erhabenheit und Größe gelegt, sondern ihr Bruckners Nähe zur Volks- und Tanzmusik entgegengestellt. So wurde das Finale nicht allein zu einer großen Inszenierung des „Stirb und Werde“ in Erhabenheit, sondern auch zu einem Volksfest.