Möglichst nahe an den Aufführungen der Zeit Mozarts hätte die Produktion des Don Giovanni im Rahmen der Styriarte 2020 werden sollen. Die Zutaten: Junge Sängerinnen und Sänger (jene der Uraufführung waren zum Großteil nicht älter als Mitte 20!), eine bunte Inszenierung von Adrian Schvarzstein und ein Orchester, das dank Darmbesaitung und historischen Blech- und Holzblasinstrumenten zu 100% Originalklang liefert; und natürlich wäre Don Giovanni mit so manchem Objekt der Begierde auf Tuchfühlung gegangen.
Nun, immerhin konnten die historische Aufführungspraxis und das junge Ensemble auch in die neue Fassung übernommen werden – zumindest weitgehend. Denn dieser Abend fand, aus unterschiedlichen Gründen, ohne Commendatore, Masetto, Leporello und Donna Anna statt. Und als wären sämtliche durch Corona bedingten Programmänderungen im Vorfeld nicht schon Organisationsaufwand genug gewesen, mussten kurzfristig auch noch zwei Umbesetzungen vorgenommen werden. Dirigent Andrés Orozco-Estrada und der als Don Ottavio besetzte Angelo Pollak mussten aus gesundheitlichen Gründen absagen, Michael Hofstetter und Daniel Johannsen kamen daher kurzfristig zu Einspringerehren. All diese Schlamassel wurden humoristisch in den Abend integriert, indem ein etwas verpeilt herumeilender Conférencier (der von Harry Lampl manchmal mehr, manchmal weniger lustig gespielt wurde) zu Beginn der Vorstellung die Sängerinnen und Sänger aus der Mitte des Publikums rekrutierte. Adrian Schvarzstein sorgte wie bereits am Abend zuvor mit Jūratė Širvytė für das Vorspiel im Foyer und begleitete auch den Don Giovanni mit lustigen Einlagen. So steuerte Schvarzstein während Donna Elviras Auftrittsarie beispielsweise Leporellos Einwürfe bei, knebelte und fesselte den zu ausführlich schwafelnden Conférencier und durfte den Abend mit dem bedeutungsschweren Schlusssatz „La commedia è finita“ aus einer ganz anderen Oper beenden.
Dass trotz aller Herausforderungen im Vorfeld eine Vorstellung auf Weltklasse-Niveau auf die Bühne gebracht wurde, spricht für die Styriarte und vor allem für die den Abend stemmenden Künstler. Bereits in der Ouvertüre wurde klar, dass das styriarte Festspiel-Orchester unter Michael Hofstetter für diesen Mozart ganz große Oper im Sinn hat. Dunkel brodelnd, verführerisch umgarnend und energiestrotzend begleiteten die Musiker das Publikum vom ersten Takt an in die Welt des Verführers Don Giovanni. Den ganzen Abend über loteten sie verschiedene Gefühlswelten durch Klang aus und trugen das singende Ensemble wie auf einem schwebenden Teppich. Dabei fand das Orchester stets die idealen Klangfarben für alle Charaktere, sodass die Figuren durch die Musik zu komplexen Persönlichkeiten wurden.
Der titelgebende Don Giovanni wurde von Damien Gastl mit warm timbriertem Bariton stimmlich ausgezeichnet, in Bezug auf seine Bühnenpräsenz allerdings noch etwas zu zurückhaltend, interpretiert. Wie er Zerlina und die Zofe Elviras schmeichelnd umgarnte und seine Stimme dabei elegant durch die Noten gleiten ließ, beeindruckte dabei mehr als die Champagnerarie, für die es ihm dann doch etwas an virilem Nachdruck fehlte. Stilistisch ideal für den Don Ottavio ist die Stimme von Daniel Johannsen, der die beiden Arien mitsamt all ihrer Koloratur-Tücken fein differenziert und bombensicher gestaltete; mit seinem latent quäkenden Timbre wurde ich zwar nicht warm, aber dies ist lediglich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Zweifelsohne eine große Karriere vor sich hat Miriam Kutrowatz, die eine neckische und vor Energie sprühende Zerlina auf die Bühne brachte. Ihr Timbre ist etwas dunkler und gehaltvoller, als man es von Sopranistinnen in dieser Rolle gewöhnt ist, wodurch sie der Figur allerdings auch mehr Facetten einhauchen konnte. Klar und butterzart schwebte die Stimme durch „Batti, batti“ und „Vedrai carino“, sodass es nicht verwunderte, dass Masetto ihr jegliche Eskapade liebend gerne verzeihen wird. Mit der Donna Elvira konnte sich Tetiana Miyus eine neue Rolle zu Eigen machen, wobei sie es sichtlich genoss, diese exaltierte und bisweilen etwas furienhafte Rolle zu spielen. Dass eine Elvira nicht unbedingt mit einer schweren, keifenden Stimme besetzt sein muss, bewies Miyus‘ Interpretation: energisch und dennoch klangschön besang sie ihre anfänglichen Rachefantasien, herzerweichend goss sie schließlich den inneren Konflikt im „Mi tradì“ in perlende Koloraturen.
Auch in komprimierter Form hat Wolfgang Amadeus Mozarts Oper viele Höhepunkte zu bieten, beinahe alle großen Hits waren zu hören (zugegeben, Leporello und seine Registerarie habe ich mehr vermisst, als Donna Anna und ihre beiden Arien) und vielleicht war diese etwas chaotische, improvisierte Version ohnehin näher dran an der Aufführungsrealität des späten 18. Jahrhunderts...