Die Oper Graz beweist mittlerweile schon traditionell jede Saison Mut zur Entdeckung von Werken abseits des Repertoire-Mainstreams – und so stand nun mit Dmitri Schostakowitschs Operette Moskau, Tscherjomuschki an zwei Terminen eine echte Rarität auf dem Programm.

Harald Schmidt, Corina Koller und Will Frost © Ingo Pertramer | Oper Graz
Harald Schmidt, Corina Koller und Will Frost
© Ingo Pertramer | Oper Graz

Schostakowitsch komponierte seine erste und einzige Operette 1958, zu einer Zeit, in der die sowjetische Gesellschaft nach Stalins Tod vorsichtige Zeichen von Aufbruch und Liberalisierung zeigte. Das Auftragswerk entstand für das Moskauer Operettentheater und thematisiert die damalige Wohnungsnot sowie die sozialistische Utopie des modernen Neubauviertels Tscherjomuschki – eines jener Projekte, die den Traum vom „neuen guten Leben“ im Kommunismus verkörpern sollten.

Das Libretto von Wladimir Mass und Michail Tscherwinski verbindet dabei alltägliche Komik mit sozialer Satire – ein Blick auf kleine Leute, ihre Hoffnungen, ihre Anpassungsstrategien und die groteske Bürokratie des Systems. Musikalisch schuf Schostakowitsch eine farbenreiche Collage, die zwischen klassischer Operette, Filmmusik und musikalischer Parodie oszilliert. Neben jazzigen Rhythmen und Marschmotiven finden sich Walzer, Polka und Foxtrott, aber auch lyrische Arien und Ensembles. Zusätzlich ist das Werk reich an Zitaten und Anspielungen: auf Tschaikowsky und Glinka ebenso wie auf sowjetische Schlager und patriotische Hymnen.

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Moskau, Tscherjomuschki
© Ingo Pertramer | Oper Graz

Unter der scheinbar leichten Oberfläche blitzt aber stets Schostakowitschs feiner Spott hervor. Die Rezeption war daher auch durchaus ambivalent. Offiziell wurde das Werk als heitere Alltagskomödie gefeiert, inoffiziell wurde es auch als ironische Abrechnung mit sowjetischer Realität verstanden. Nach der Moskauer Uraufführung blieb es im Westen lange weitgehend unbekannt – erst in den letzten Jahren wurde Moskau, Tscherjomuschki im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt.

In einer gekürzten, konzertanten Fassung stand das Werk nun am Grazer Spielplan; durch den Abend führte Harald Schmidt als Hausmeister Afanassi Iwanowitsch Barabaschkin. Schmidt kämpfte sich dabei wacker durch die Aussprache russischer Namen, meisterte sogar einige Zeilen Gesangstext und sorgte mit herrlich trockenem Humor, kleinen Seitenhieben und exakt platzierten Spitzen mit Gegenwartsbezug für Lacher. Erzählt wird die Geschichte von drei Paaren, die von einer Wohnung im neu gebauten Viertel Tscherjomuschki träumen, aber am Weg zum Happy End – das mittels eines Zauberbrunnens und einer Wahrheitsbank im Garten herbeigeführt wird – mit allerlei Hürden (von Eifersucht über Korruption bis hin zu mangelnder Öffi-Anbindung) zu kämpfen haben.

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Ted Black, Sofia Vinnik und Ivan Oreščanin
© Ingo Pertramer | Oper Graz

Da gibt es einerseits Sascha und Mascha, die verheiratet sind, aber aus Platzmangel getrennt wohnen müssen. Mit viel Pathos besangen Sofia Vinnik und Ivan Oreščanin ihr Schicksal, wobei insbesondere Vinniks dunkel grundierter, fein geführter Mezzo für Gänsehautmomente sorgte. Ebenfalls von einer eigenen Wohnung träumen Lidotschka, die von Katharina Melnikova mit warm strahlendem Sopran ausgestattet wurde, und Boris – dem Nikita Ivasechko seinen in allen Lagen karamellig schimmernden Bariton lieh.

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Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Mikahail Agrest und Katharina Melnikova
© Ingo Pertramer | Oper Graz

Eine etwas komplizierte Beziehung führen Sergej und Ljusja, die von Ted Black und Corina Koller jeweils mit strahlenden Spitzentönen und üppigem Schmelz in der Stimme gestaltet wurden. Mit Pelzschal und Sonnenbrille ausgestattet verwandelte sich Koller dann außerdem wunderbar affektiert in Wawa, die Frau des korrupten Lokalpolitikers Fjodor Michailowitsch Drebednjow, den Will Frost mit eleganter Nonchalance verkörperte. Neben den durchwegs starken Gesangsleistungen war es auch die Spielfreude des versammelten Ensembles, die an diesem Abend überzeugte. Trotz des konzertanten Settings gelang es allen, ihre Charaktere mit Leben zu füllen und dem Humor des Textes Ausdruck zu verleihen.

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Mikhail Agrest
© Ingo Pertramer | Oper Graz

Am Pult der Grazer Philharmoniker sorgte Mikhail Agrest für eine farbenreiche, differenzierte Lesart der Partitur. Mit feinem Gespür arbeitete er die feine Linie zwischen Operettenkitsch und bissiger Satire heraus: herrlich schwelgende Walzer standen da neben pointierten, fast grell ironischen Momenten. Besonders in den Chorszenen – der Chor zeigte sich übrigens bestens disponiert! – überzog der Dirigent die Idylle mit so viel musikalischem Zuckerguss, dass kein Zweifel bleibt: Diese Nachbarn sind nicht so freundlich, wie sie tun und die sowjetische Wohn-Utopie ist längst nicht so perfekt, wie es das Regime gerne verkaufen würde.

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