Ein nicht alltägliches Konzerterlebnis wurde zum Abschluss des Pridemonth in der Grazer Helmut-List-Halle im Rahmen der Styriarte geboten: alte Musik in Lack und Leder, garniert mit Akrobatik. Fetish Baroque nennt sich das Ensemble rund um den musikalischen Leiter Michael Hell, das in seinen Shows Subkultur und Hochkultur verbinden und die Musik des Barocks in einem neuen Blickwinkel betrachten möchte. Passend zum diesjährigen Motto des Festivals – Held:innen – wurde im Programm allerlei barocken Größen gehuldigt; so führte die Reise vom Einzug der Königin von Saba aus Händels Oratorium Salomon über Glucks Orfeo bis hin zu Purcells King Arthur. Durch den Abend führte Dramaturg Thomas Höft, der mit seinen kurzen Einleitungen und Kommentaren der Vorstellung einen Rahmen gab, sodass der rote Faden hinter dem Konzept und der Stückauswahl für das Publikum greifbar wurden.

Fetish Baroque © Nikola Milatovic
Fetish Baroque
© Nikola Milatovic

Ein Aspekt blieb trotz des unkonventionellen Gesamtkonzepts traditionell: die Musik. Auf historischen Instrumenten erklangen die Werke des Barock in höchster Qualität und Virtuosität. Das versammelte Ensemble bestach dabei nicht nur durch satten Klang, spielerische Leichtigkeit und Akkuratesse, sondern auch durch einzelne solistische Glanzmomente. So ließ Georg Kroneis etwa seine Viola da Gamba in satten Farben strahlen und Michael Hell entlockte seiner Flöte bei Vivaldis Concerto per Flautino in G prächtige Klangwelten voll pfiffiger Spritzigkeit in atemberaubenden Tempi. Die üppigen Verzierungen erklangen den Abend über nie nur als purer Selbstzweck, sondern dienten der Verdeutlichung der erzählten Geschichten bzw. traten sie in Dialog mit der Show. Ebenso erwiesen sich die Musiker als umsichtige Begleiter, indem sie ihre singenden Kollegen auf ideale Klangteppiche betteten.

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Evilyn Frantic
© Nikola Milatovic

Iris Vermillion war stimmlich ohnehin ganz in ihrem Element und kostete die rasanten Tempi der Arie „Voglio strage, voglio sangue“ ebenso genüsslich aus wie in sich gekehrten Momente von Irene aus Händels Theodora, in denen ihr Mezzosopran dunkel, aber gleichzeitig voll Wärme, schimmerte. Ergreifend gestaltete sie vor allem Glucks unglücklichen Orpheus, wobei sie auf der Bühne vom vierbeinigen Co-Star Fanny pfotenkräftig unterstützt wurde. Nicht ganz so überzeugen konnte hingegen Dietrich Henschel, dem stimmlich nicht alles ganz lupenrein gelang, da sein Bariton phasenweise etwas dünn und ausgefranst klang; allerdings gestaltete er seine Szenen mit vollem körperlichen Einsatz – so kuschelte er sich während „Ombra mai fu” aus Händels Oper Xerxes an einen imaginären Baum, wirbelte im hautengen Einteiler über die Bühne und sang die Frost Scene aus Henry Purcells King Arthur in Frischhaltefolie gefesselt.

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Iris Vermillion mit Fetish Baroque
© Nikola Milatovic

Für die Show sorgten an diesem Abend darüber hinaus zwei weitere Mitglieder von Fetish Baroque: Evilyn Frantic bot in glitzernde Bodysuits gehüllt eine skurrile Mischung aus Comedy und Fakirkunst – vom Deepthroating eines Luftballons über Spiele mit einem Nagelbrett bis hin zum Auftritt als Domina mit Mickey-Maus-Maske. Beinahe brav waren hingegen die akrobatischen Einlagen von Didac Cano, der etwa in Shibari-Seile gehüllt einen rasanten Seilspring-Tanz zu Bachs Badinerie lieferte und mit seinen Diabolos die Grenzen der Schwerkraft zu verschieben schien.

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Dietrich Henschel mit Fetish Baroque
© Nikola Milatovic

Nun wird dem Klassikpublikum – das übrigens auch an diesem Abend überwiegend aus der Generation 65+ bestand – ja gerne eine gewisse Abneigung gegenüber allem, was neu und anders ist, unterstellt. Tatsächlich wurde die Vorstellung aber einhellig euphorisch bejubelt; der Mut bei der Programmgestaltung hat sich also ausgezahlt und möglicherweise ist das Publikum letztlich ja doch experimentierfreudiger als sein Ruf.

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