So, wie Ivo Pogorelich die Bühne des Alfred Krupp Saals in Essen betrat, hätte man meinen können, er setzt sich eben kurz zum Üben an das heimische Klavier. Sein Auftreten strahlte pure Ruhe und Gelassenheit aus. In gewisser Weise kann Pogorelichs Spiel auch als ruhig bezeichnet werden, vorausgesetzt man spricht von seiner Körperhaltung, denn sein Anschlag ist wohl eher einem aufrührerischem Charakter zuzuordnen.
So erklangen seine ersten Akkorde in Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 sehr scharf und mit einer Direktheit, die sich über das gesamte Konzert erstrecken sollte. Der Einsatz der Philharmonia Zürich, unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Fabio Luisi, war jedoch ein ganz gegensätzlicher. Schwermütig, mit viel Leidenschaft und großem Legato wurde das Orchester zu einem Gegenpol des Klaviers. Die Extreme relativierten sich gegenseitig und harmonieren fabelhaft miteinander.
Das von Akkorden dominierte Klavierkonzert erlebte bei Pogorelich eine sehr vielfältige Interpretation: Seine manchmal flapsig hingeschmissenen Akkorde ließen an ein Jazzkonzert denken, und sehr gezielte Akkorde kamen unmittelbar spitz beim Zuhörer an. Das Orchester bemühte sich derweil um weiche Crescendo-Wellen, die in ihrem Kern knackig und straff blieben. Das Ende des ersten Satzes, eine aufsteigende Akkordfolge, wurde dann jedoch von Orchester und Klavier gleichermaßen mit zusammen stark gesetzten Akzenten gestaltet.
Nach diesem imposanten ersten Schluss ging es im zweiten Satz wieder sanfter zu. Mit großer Anmut spielten Flöte und Klarinette die Melodielinie über einer folgsamen, entspannt gespielten Begleitung im Klavier. Als diese Melodie jedoch ins Klavier wechselte, setzte Pogorelich mit starken Akzenten fort, doch als er abermals in der Begleiterrolle war, wurden seine flüsternden Läufe zu feinen Spinnengeflechten, die mittels des richtigen Timings von einer Begleitung zur tragenden Melodie entwuchsen. Auch kurze Zeit später war Pogorelichs Timing in der kurzen Kadenz wieder zu bestaunen. Die schon fast an grobe Schläge erinnernden, mit Wucht gespielten Akkorde veränderten sich, ehe man sich versah, zu einer melancholischen Stimmung. Hier gestaltete Pogorelich den Übergang mit einer fließenden Tempo- und Dynamik-Drosselung wie von Zauberhand.
Ein akzentuiertes Spiel, diesmal im Orchester, leitete den dritten und letzten Satz des Klavierkonzertes ein. Lange schnelle Läufe wurden von Pogorelich mit dem Pedal versehen, wohingegen in den Sätzen zuvor das Pedal nie lange gehalten, sondern nur kurz gesetzt und schnell gewechselt worden war. Nach einer kurzen Kadenz setzte das Orchester nochmals mit großem, pathetischen Ton ein. Trotz des breiten, mit viel Druck ausgeübten Spiels konnte sich Pogorelich mit seinen wilden Akkorde Gehör verschaffen, und so endete Rachmaninows Klavierkonzert mit einem überlauten Zusammenklang von Orchester und Klavier.