Die Stars produzieren sich normalerweise im Scheinwerferlicht der Bühne, während sich das Orchester im Graben versteckt. Für ein Opernorchester ist es deshalb immer ein dankbares Ereignis, wenn es einmal selber die Hauptrolle spielen darf. Die Philharmonia Zürich, das Orchester des Zürcher Opernhauses, begeistert seit Jahren mit einem eigenen Konzertzyklus. Im vierten dieser Philharmonischen Konzerte dirigierte GMD Gianandrea Noseda ein reines Strauss-Programm. Richard Strauss nota bene. Die Kombination der Vier letzten Lieder mit der Tondichtung Don Quixote hatte dabei eine Schlüssigkeit, die sich auf verschiedenen Ebenen zeigte: Dem Spätwerk von 1948 stand das „Frühwerk“ von 1897 gegenüber, doch  beide Kompositionen verlangen ein Riesenorchester. Zudem sind die beiden Werke durch das Thema des Todes miteinander verknüpft.

Gianandrea Noseda © Andrin Fretz
Gianandrea Noseda
© Andrin Fretz

Die in der Schweiz entstandenen Lieder auf Texte von Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff sind ein Spiegelbild von Strauss‘ Depression nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, angesichts seines Vagabundenlebens im Exil und in der Erwartung seines baldigen Todes. „Ist dies etwa der Tod“, lautet die letzte Zeile des Liedes Im Abendrot. Als Interpretin des Soloparts ist eine Sängerin vonnöten, die über ein großes Stimmvolumen, eine adäquate Rollenpräsenz und die nötige Reife für dieses Alterswerk besitzt.

Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller, die 2022 in Zürich ihr Rollendebüt als Arabella gab, erfüllt diese Voraussetzungen selbstredend. Darüber hinaus strahlt sie eine gehörige Portion Vitalität und Selbstbewusstsein aus, was im Kontext dieser lebensmüden und todestrunkenen Gesänge für eine interessante Spannung sorgt. Dass Müllers Stimme vom Orchester nie zugedeckt wird, ist auch das Verdienst von Noseda, der die orchestralen Klangmassen wie ein Dompteur im Griff hat und zu drosseln versteht. Gleichzeitig gibt der Dirigent mit der Ausformung delikater Klangfarben einen Vorgeschmack auf den zweiten Teil des Abends.

Die Tondichtung Don Quixote, angeregt durch den berühmten Roman von Miguel de Cervantes, ist gattungstypisch kein unproblematisches Werk, stellt sie doch eine gewagte Mischung aus Programmsymphonie, Variationszyklus und Solokonzert dar. Der Heterogenität der vergegenwärtigten Episoden aus dem Roman steht indes eine strenge formale Struktur gegenüber, was den Vorwurf der Beliebigkeit entschärft. Im Kontext von Strauss‘ Tondichtungen seiner ersten Schaffensphase ist Don Quixote ein Schwesterwerk von Ein Heldenleben. „Held und Welt beginnt, Gestalt zu bekommen, dazu als Satyrspiel Don Quixote“, schrieb der Komponist 1897.

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Gianandrea Noseda dirigiert die Philharmonia Zürich
© Andrin Fretz

Hier setzt Nosedas Interpretation an. Im antiken griechischen Theater war das Satyrspiel ein heiteres Nachspiel im Anschluss an die Tragödie. Entsprechend deutet der Dirigent Don Quixote als eine ironisch verfremdete Heldensaga. Es ist die Geschichte eines verträumten Mannes, der sich als Ritter wähnt, gegen eingebildete Bösewichte kämpft, scheitert, zur Realität zurückfindet, daran zerbricht und schließlich stirbt. Alle diese deskriptiven Elemente macht der Dirigent mit sicherem Instinkt hörbar und übertreibt sie derart, dass sie ins Groteske und Ironische umschlagen. Pures Vergnügen bereiten die orchestralen Umsetzungen etwa der blökenden Schafe in der fünften Variation, des Ritts durch die Luft in der zehnten oder des Kampfes gegen die vermeintlichen Zauberer in der zwölften Variation.

Am gleichen interpretatorischen Strick wie der Dirigent zieht Lev Sivkov, seines Zeichens Solocellist der Philharmonia Zürich. Mit sichtlichem Vergnügen und offenkundigem Showtalent zeichnet er das Porträt des eingebildeten Ritters in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und hält nicht mit entsprechenden instrumentalen Effekten zurück. Aus den Reihen des Orchesters stammt auch die Solobratschistin Karen Forster. Zusammen mit weiteren Soloeinlagen aus dem Orchester stellt sie Sancho Pansa, Quixotes Knappen und Gegenspieler, dar. Ihr bisweilen schelmisches Lachen passt perfekt zum Charakter dieser Gestalt.

Fazit: Ein Opernorchester wie die Philharmonia Zürich, die auch alle Qualitäten eines Konzertorchesters hat, geleitet von einem Operndirigenten, dem auch ein ausgesprochenes Flair für Symphonisches eignet, bereitet ein unwiderstehliches Vergnügen.

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