Dieser Pierrot lunaire beim Holland Festival ist ein außergewöhnlicher, bisweilen bizarrer Abend. Das gespannt wartende Publikum sitzt um einen in bunte Farben getauchten Aufnahmeraum herum, den Yannick Fouassier mit fantastischen Lichteffekten regelmäßig in andere Farben taucht, und wird gleich zu Beginn der Vorstellung scherzend an der Nase herumgeführt.

So rollt Florian Müller, Pianist beim Klangforum Wien, in einem weißen Arztkittel gehüllt die Tastatur seines Flügels umständlich zur Bühne. Dabei fordert er einige Zuschauer der ersten Reihe auf, geräuschlos darauf zu spielen. Die erste Freiwillige wird sofort streng zur Ordnung gerufen, die nächste Mutige aber ausführlich gelobt. Einmal hinter seinem Konzertflügel installiert, entpuppt Müller sich als Sänger und Barpianist, der selbst die Popschnulze Nothing Compares 2U talentvoll zu interpretieren weiß. Das kann man als zeitgenössische Übersetzung der Intentionen des Komponisten zu verstehen versuchen, schrieb Arnold Schönberg doch über seinen Pierrot im März 1912 in sein Berliner Tagebuch: „Die Klänge werden hier ein geradezu tierisch unmittelbarer Ausdruck sinnlicher und seelischer Bewegungen. Fast als ob alles direkt übertragen wäre.”

Die vielseitige kapverdische Choreographin Marlene Montero Freitas hat Schönbergs berühmtes Melodram, basierend auf Gedichten von Albert Giraud in der fantasievollen Übersetzung von Otto Erich Hartleben, auf das doppelte seiner normalen Aufführungsdauer aufgeblasen. Immer wieder kommen Anweisungen oder Kommentare aus dem Off. Walkie-Talkies werden als wären es Babys in Tücher gewickelt auf die Bühne getragen und gewiegt, ohne jedoch damit das aus ihnen tönende Coronahusten mildern zu können. Es gibt ein längeres Intermezzo von Rückkoppelungsgeräuschen. Es werden einzelne Stimmen geprobt und wiederholt, ein Geigenbogen verwandelt sich in eine Angel, es wird ausgiebig ins Publik geschielt, es wird gegessen oder Zähne geputzt. Die Musiker und Dirigent Michael Zlabinger rollen auf ihren beweglichen Hockern um die in der Mitte postierte Sängerin und Stimmkünstlerin Sofia Jernsberg herum und formieren sich zu einer rollenden Parade, die ins Publikum winkt.

Immer wenn dann auch endlich einmal gespielt wird, leuchtet das Record-Zeichen an der Decke auf. Jernsberg richtet ihren raffiniert mit Stimmakrobatik oder auch kehligen Obertonakkorden abgewechselten Sprechgesang bei jedem der 21 Lieder in eine andere Richtung. Das hat clowneske und dank der Handschuhe ab und zu auch pantomimische Elemente, die Texte sind dadurch jedoch nicht deutlich zu verstehen.

Pantomime und Musik passen natürlich gut zusammen, aber sind Musiker auch gute Pantomimen? In der von den diesjährigen Wiener Festwochen übernommenen Produktion von Pierrot lunaire wurde den mit allen Wassern gewaschenen Musikern des Klangforum Wien von Montero Freitas neben dem Spielen der anspruchsvollen Partitur deutlich zu viel abverlangt. In den ständig wechselnden Spielpositionen war ein optimaler Klang oft Nebensache. Ob sie sich selbst wohl fühlten in dieser ungewohnten Doppelrolle?

Fischers unsentimental vorgetragenes Kinderlied La-Le-Lu (Nur der Mann im Mond schaut zu) war einer der innigsten Momente des Abends. Mit Schönbergs Komposition hatte das allerdings eher weniger zu tun.

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