Mit neuer, dreiköpfiger Führungsspitze ist das Deutsche Nationaltheater Weimar in die Saison 2025/26 gestartet: Regisseur Valentin Schwarz, zuletzt mit seiner Bayreuther Ring-Inszenierung in den Schlagzeilen, übernimmt gemeinsam mit Dorian Dreher und Timon Jansen die Intendanz in einer Stadt, in der sich die Vielschichtigkeit deutscher Kulturgeschichte zwischen Weimarer Klassik und Buchenwald spiegelt. Den Auftakt machte ein dicht gepacktes Theaterprogramm über ein langes Wochenende: ein erstes „Äquinoktium“-Festival (zu Zeitpunkten der Tag-und-Nacht-Gleiche), das im Mehrspartenhaus auch eine gefeierte Opern-Premiere bescherte. Chefregisseur Valentin Schwarz und der neue Musikdirektor Daniel Carter, als GMD weiterhin auch am Landestheater in Coburg aktiv, kombinierten an einem Abend zwei selten gespielte Opern-Einakter, die in intensivem körperlichem Musiktheater aus einer archaischen Tragödie und einer ironischen Backstage-Comedy der Neuzeit allen vor und auf der Bühne den Spiegel vorhielten.

Sayaka Shigeshima (Penthesilea) © Sandra Then
Sayaka Shigeshima (Penthesilea)
© Sandra Then

Die überraschende Verbindung der beiden Werke liegt im gemeinsamen Textbuchautor Heinrich von Kleist, an dessen kompromisslose Dramen sich erst Komponisten des 20. Jahrhunderts wagten. Penthesilea des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck, der hauptsächlich mit seinen Liedern bekannt wurde, ist vermutlich die erste Oper überhaupt, die ein Drama Kleists wörtlich vertonte. 1927 wurde sie in Dresden uraufgeführt. Kleists Der zerbrochne Krug war 1808 in Weimar sogar in der Regie von Goethe erstmals gegeben worden, wurde aber aufgrund negativer Publikumsreaktionen zunächst ein Fiasko. Viktor Ullmann schrieb seine Fassung von Der zerbrochene Krug 1942 noch während seiner Deportation nach Theresienstadt. Beide Komponisten kürzen Kleists Texte deutlich: Schoeck konzentriert sich auf die Kernszenen der Begegnung zwischen Achill und Penthesilea im Umfeld des Trojanischen Kriegs. Ullmann, der nur wenige Wochen vor seiner Verlegung ins Konzentrationslage Auschwitz seinen Tod befürchtete, reduzierte die berühmte Schauspielkomödie um den Dorfrichter Adam auf 40 Minuten. Erst lange nach Ullmanns Ermordung in Auschwitz fand die posthume Uraufführung statt: 1996 in Dresden und Weimar in einer Produktion des DNT.

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Sayaka Shigeshima, Heike Porstein (Prothoe), Michael Kupfer-Radecky (Achill), Anna Schoeck (Meroe)
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Die Liebe zwischen der Amazonenkönigin Penthesilea und dem griechischen Helden Achill steht unter unglücklichem Stern, insbesondere da beide nach Amazonensitte nur zusammenkommen dürfen, wenn einer den anderen im Kampf besiegt. Achill möchte sich zwar Penthesilea in einem finalen Streit ergeben, jedoch missversteht sie seine Handlungsweise und bringt ihn aus verletzten Gefühlen schließlich um, womit Kleist von der Überlieferung abweicht, dass Penthesilea von Achill getötet wird. Die archaisch anmutende Statuarik von Kleists Handlung wurde in Schwarz’ Inszenierung und der kühl glitzernden Bühne von Andrea Cozzi noch verstärkt.

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Michael Kupfer-Radecky (Achill) und Sayaka Shigeshima (Penthesilea)
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Der wohlklingende Opernchor des DNT, in asiatisch wirkende dunkle Gewänder und eckige Masken gekleidet, kommentierte – der Funktion des altgriechischen Choros gemäß – durch Bewegungen und Rochaden das Geschehen im Zentrum; diese vom massiven, oftmals hämmernden Schlagwerk getriebenen Wogen einer kriegerischen Klangwelt fanden auch im großen, bestens vorbereiteten Orchester ihre souveräne Umsetzung. Sayaka Shigeshima, starke Sängerin der Penthesilea, fokussierte diese Klang-Eruptionen noch durch orgiastischen Bewegungsrausch in punktuellen Lichtsequenzen. Schoeck war von Richard Strauss’ Einaktern Salome und Elektra fasziniert und wollte durch eine weitere Steigerung des orchestralen Apparats (u.a. zehn verschiedene Klarinetten und zwei Klaviere) diesem offenbar imponieren, was Strauss aber zurückwies.

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Anna Schoeck (Meroe) und Sarah Mehnert (Oberpriesterin)
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Als ungewöhnlich erlebte man die dramatische Verdichtung des Textbuches, wenn neben gesungenen Abschnitten plötzlich rhythmisch gesprochene Sequenzen die Handlung weitertreiben. Hier bewährten sich auch Heike Porstein, Anna Schoeck und Sarah Mehnert als Penthesileas Vertraute sowie als Priesterin. Mit intimer Gefühlstiefe gelangen dazu die Zwiegespräche der beiden Protagonisten, wenn sich die beweglichen Paravent-Elemente des Bühnenbilds um beide wie zu einem Rückzugsort schließen und herrlich dichte Pianissimo-Klänge des Orchesters eine irisierende, suggestive Liebesatmosphäre schaffen, in der Penthesilea schließlich fragend singt: „Küsst ich ihn tot?“ Hier konnten Sayaka Shigeshima und Michael Kupfer-Radecky als Achill vollends überzeugen in ruhevollem Spiel und stimmlicher Verschmelzung.

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Jörn Eichler (Licht), Uwe Schenker-Primus (Adam Richter), Anna Schoeck (Eve), Leon Kohlstadt
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Nach der etwas verkopften Tragödie konnte das Regieteam um Schwarz die Lacher auf seine Seite ziehen. Die humorige Geschichte vom Dorfrichter, der die eigene Verfehlung in falschem Urteil einem unbeholfenen Schreinermeister in die Schuhe zu schieben versucht, könnte Ullmann wegen der offensichtlichen Parallelen zur damaligen Unrechtsjustiz beschäftigt haben. Musikalisch leuchteten aus dem Orchestersatz Elemente von Jazz und Tanzmusik heraus, gemischt mit neoklassizistischen Farben von Cembaloläufen: absolut verblüffend wenn man Ullmanns Lebenssituation betrachtet.

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Andreas Koch (Walter) und Uwe Schenker-Prmius (Adam Richter)
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Ein amüsanter Kunstgriff nun, die dörfliche Geschichte in die Gemeinschaft eines naheliegenden Kulturbetriebs zu verlegen. Die Weimarer Drehbühne liefert dazu einen hurtigen Wechsel des Bühnenbilds, das nicht zufällig starke Ähnlichkeit mit dem Weimarer Theatergebäude aufweist, bis in die bekannte rückseitige Ansicht eines deutschen Dichterduos vor dem Eingang. Nun ist es der Kulturreferent aus Erfurt, der im unpassenden Moment die Aufmerksamkeit des übergriffigen Intendanten Adam fordert, als dieser eine verlorene Perücke zu finden und erbeutete Damenunterwäsche verschwinden zu lassen versucht. Vielsagend fallen die Kommentare des wohl informierten Chefdramaturgen dazu aus.

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Der zerbrochene Krug
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Eine herrliche Paraderolle für Uwe Schenker-Primus als Adam, der stimmlich wie spielerisch die Hauptrolle des verschlagenen Chefs zu füllen verstand. Und von der Kantinenwirtin bis zur Zweiten Geige spielte das Weimarer Ensemble temporeich und mit Witz die reizvolle Mischung aus Tratsch und Trieb, die im versöhnlichen Schlussvers gipfelte: „Richter soll keiner sein, ist nicht sein Herze rein!“. Daniel Carter konnte auch in diesem heiteren Genre auf die feinsinnige Klangqualität der Staatskapelle stolz sein: hoch erfreulich, dass sich der neue Musikdirektor und das Orchester auf Anhieb so trefflich verstanden!

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