Entgegengesetzter hätten die zweite Werke am Programm der Sächsischen Staatskapelle Dresden auf ihrer Tournee nicht sein können: Schostakowitschs Erstes Cellokonzert und Bruckners Siebte Symphonie. Vor der Pause rauher Spaltklang, danach der Mischklang der Spätromantik. So konnte sich auch das Orchester unter Tugan Sokhiev von seinen beiden Seiten zeigen.

Sol Gabetta und Tugan Sokhiev mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden © Oliver Killig
Sol Gabetta und Tugan Sokhiev mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden
© Oliver Killig

Dass Sol Gabetta Schostakowitschs Cellokonzert nicht nur oft gespielt hat, sondern es zu ihren Lieblingsstücken zählt, war in jedem Takt ihres Auftritts in der Berliner Philharmonie zu hören. Im Unterschied zu den meisten anderen, die sich dem Werk zuwenden, weiß sie, dass das Stück nicht – wie hundertfach zu lesen – mit dem viertönigen Monogramm des Komponisten, dem D-Es-C-H-Motiv, beginnt, sondern mit einer burschikosen Variante dieser Viertonfolge. Das ist für ihre Darbietung insofern wichtig, als sie keinen Egomanen sein Monogramm in den Saal tönen, sondern den Komponisten sich eine Maske aufsetzen ließ, um sein Ich zu verbergen. So heiter und in sich gekehrt hört man das Konzert für gewöhnlich nicht. Gabetta vermied den Spott, ja fast jedes Fortissimo, so wie Schostakowitsch seine Kritik nur im Flüsterton aussprechen konnte. Sie begann vorsichtig, fast vernuschelt, ging im rauen Gewusel des Orchesters mitunter bewusst unter, weil der Komponist auch kein virtuoses Glanzstück komponiert hat. Der Galopp-Rhythmus war im Orchester zwar stets präsent, aber Sokhiev und das Orchester konnten bei den häufig vorgeschriebenen Taktwechseln der verirrten Solistin keinen Halt geben; stattdessen versuchte der Hornist Robert Langbein ihr noch den Rang abzulaufen.

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Sol Gabetta
© Oliver Killig

Im ariosen Mittelsatz wurde die Sarabande nicht zu langsam gespielt. Sol Gabetta trug ihre Berceuse fahlfarben vor – ohne Licht und ohne Hoffnung. Höhepunkt ihrer Darbietung aber war der dritte Satz, die Cadenza, die sie wie einen Monolog einer Tragödie vortrug; ganz alleine spielte sie, sich be- und hinterfragend, in höchste Höhen steigend und gezupfte Fragezeichen setzend. Das Finale wurde mit galliger Schärfe und ironischem Biss musiziert. Töne der jiddischen Folklore mischten sich in das Maskenspiel ein. Das Zitat von Stalins Lieblingslied wurde so grimassiert gespielt, dass es eigentlich nicht zu hören war. Dieses Versteckspiel wurde in dieser Darbietung viel wichtiger genommen als die beißende Satire. Die kam zum Schluss umso deutlicher zu Gehör, als der Hornist das Hautthema des Kopfsatzes in den Saal schmetterte, um dem arrangierten Pseudo-Triumph die Krone aufzusetzen.

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Tugan Sokhiev dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden
© Oliver Killig

Tugan Sokhiev, ohne Taktstock Bruckners Siebente Symphonie dirigierend, wusste um den großen Kontrast dieser Partitur im Vergleich zum Cellokonzert. Den ruppigen Klang, der vor der Pause vorherrschte, wich einen geschmeidigen und Sokhiev setzte die Übergänge weich. Wenn bei Bruckner am Ende der Symphonie der Anfangsgedanke wiederkehrt, dann war genau das zu gestalten, was bei Schostakowitsch zu verspotten war: die Erfüllung einer Vorsehung als echte Ankunft. Und das gelang sehr überzeugend.

Keine andere Bruckner-Symphonie ist so organisch komponiert wie diese. Mit großer Übersicht ließ Sokhiev das zu Anfang gesetzte Thema seine Blüten in das ganze Werk treiben und so seine Form tragen. Er ließ dieses Hauptthema nicht allein im Hauptgedanken des Adagios weiterwirken, sondern zu Beginn des Finales neue Gestalt annehmen. Das waren die Pfeiler, die diese Architektur trugen. Das heißt nicht, dass Sokhiev die Episoden, wie z. B. die Gesangsperioden der Ecksätze, nicht tonschön aufblühen ließ, aber sie blieben bei ihm auf dem Status der eingeschobenen Handlung stehen. Das Dirigat des Final-Satzes stellte, wie stets bei der Aufführung dieser Symphonie, die größte Herausforderung dar. Sokhiev entfachte eine vorwärtsdrängende Kraft, ließ die Gestalten der Exposition ab der Mitte des Satzes rückwärts laufen, um schließlich an den Anfang der Symphonie zu gelangen. Dazu hatte er alle Kräfte bewahrt und die Darbietung große Fahrt aufnehmen lassen.


Das Konzert wurde von der Konzertdirektion Hans Adler veranstaltet.

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