Eine rasante Reise aus der Versenkung bis hin zu den Salzburger Festspielen legte Mieczysław Weinbergs Oper Der Idiot in den letzten Jahren hin: obwohl bereits 1986/87 komponiert, wurde das Werk erst 2013 in seiner vollständigen Fassung uraufgeführt. Es ist außerdem in diesem Sommer gleich die zweite Oper, die auf einem Roman von Dostojewski basiert.

Bogdan Volkov (Fürst Myschkin), Pavol Breslik (Ganja), Aušrinė Stundytė (Nastassja Filippowna) © SF | Bernd Uhlig
Bogdan Volkov (Fürst Myschkin), Pavol Breslik (Ganja), Aušrinė Stundytė (Nastassja Filippowna)
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Der titelgebende „Idiot” Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin (der wohlgemerkt nur von seiner Umgebung so bezeichnet wird, aber im Lauf der Handlung mehr Verstand und vor allem Herz zeigt, als fast alle anderen Charaktere zusammen) ist dabei die positive Ausnahme. Aufgrund von Epilepsie war er für einige Jahre in der Schweiz zur Behandlung und sein Verhalten legt die Vermutung nahe, dass er außerdem irgendwo im Autismus-Spektrum anzusiedeln ist; schonungslos ehrlich und vermeintlich naiv begegnet er der gehobenen Gesellschaft in St. Petersburg, in die er nach seiner Rückkehr aus dem Ausland aufgenommen wird.

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Der Idiot
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Er verliebt sich in die ebenso schöne wie komplizierte Nastassja, die auch von seinem Freund Rogoschin begehrt wird; fasziniert ist er allerdings gleichzeitig auch von Aglaja, einer Generalstochter. In jedem Fall ist er aber heillos überfordert von der Gesamtsituation, glaubt dabei dennoch stets an das Gute – selbst in einer Welt, die davon meilenweit entfernt zu sein scheint.

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Bogdan Volkov (Fürst Myschkin)
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Nun soll man mit Superlativen ja erstens vorsichtig und zweitens sparsam umgehen, aber im Fall von Bogdan Volkov und seiner Interpretation des Fürst Myschkin fällt es schwer, nicht in völlige Schwärmerei zu verfallen; denn wie er die Titelrolle der Oper gestaltete war schlichtweg grandios. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, die Partie wäre ihm und seiner Stimme auf den Leib geschrieben worden: das Timbre seines Tenors verdeutlichte mit den hellen, silbrig glänzenden Farben den Optimismus und die Naivität des Fürsten ganz wunderbar und egal ob zurückgenommenstes Piano oder verzweifelt aufwallendes Forte – die Stimme schwebte stets ebenmäßig und elegant durch den Raum. Dabei unterstrich die vokale Interpretation immer auch die Darstellung und malte jede Facette der Persönlichkeit der Figur mit zarten Farben.

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Vladislav Sulimsky (Rogoschin) und Bogdan Volkov (Fürst Myschkin)
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Ebenso beeindruckend war Volkovs schauspielerische Leistung (stellvertretend sei hier zum Beispiel die fast schon unangenehm real wirkende Darstellung eines epileptischen Anfalls genannt!), die auch hauptberufliche Theaterschauspieler neidisch machen dürfte. In jeder Sekunde des Abends merkte man, wie intensiv von Volkov an der Rolle gearbeitet wurde – denn er sang und spielte sie nicht nur, er lebte sie kompromisslos.

Großen Anteil daran hatte zweifellos auch Regisseur Krzysztof Warlikowsi, der eine Inszenierung von bestechender Klarheit und emotionaler Dichte auf die Bühne der Felsenreitschule zauberte. Ein holzvertäfeltes Bühnenbild, das Raum für alle Episoden der Handlung bot und dabei doch viel mehr war als ein Einheitsbühnenbild, bildete den Rahmen für die sich kontinuierlich zuspitzende Handlung. Sparsam eingesetzte Videoprojektionen verstärkten jene Momente, die ansonsten auf der großen Bühne wohl untergegangen wären und sorgten etwa im Schlussakt für packende Bilder.

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Bogdan Volkov (Fürst Myschkin)
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Neben der starken Optik war es die detailreiche Personenregie, die beeindruckte – Warlikowsi gelang es mithilfe des Ensembles auf der Bühne alle Figuren unmittelbar und echt wirken zu lassen, sodass man sich in ihnen erkennen konnte, mit ihnen mitleben und -leiden musste und sich auch beim Glas Wein nach der Vorstellung noch mit ihren Schicksalen auseinandersetzte.

So etwa mit dem von Vladislav Sulimsky verkörperten Rogoschin, der in einen Strudel aus Obsession hineingerät und am Ende gar zum Mörder wird. Selten haben Besessenheit und Eifersucht allerdings so schön geklungen wie aus seiner Kehle, denn sein Bariton verfügt nicht nur über dunkle Farben, um die Abgründe glaubhaft zu verklanglichen, sondern ist auch so karamellig timbriert, dass man sich nur zu gerne in diesen Abgrund stürzen würde.

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Jessica Niles (Alexandra), Bogdan Volkov (Fürst Myschkin) und Xenia Puskarz Thomas (Aglaja)
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Als indisponiert ansagen ließ sich Aušrinė Stundytė, wobei man der Stimme nicht unbedingt etwas anmerkte und sie die Nastassja mit glühendem Sopran ausstattete. Allerdings gestaltete sie die Rolle an diesem Abend zweifellos etwas vorsichtiger, mit weniger dramatischem Aplomb und weniger Entäußerung als man es eigentlich von ihr gewohnt ist – unter diesen Umständen aber die einzig vernünftige und richtige Entscheidung.

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Bogdan Volkov (Myschkin), Aušrinė Stundytė (Nastassja Filippowna), Vladislav Sulimsky (Rogoschin)
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Xenia Puskarz Thomas lieh der Aglaja ihren samtigen Mezzosopran und gestaltete die Rolle glaubwürdig zwischen flatterhafter Jugend und verliebter Seelenschwere. Im Joker-Style legte Iurii Samoilov den Lebedjew als gewieften Strippenzieher des Geschehens im Hintergrund an und Pavol Breslik gab den Ganja als kreuzbiederen Buchhaltertypen mit angenehm schmelzendem Tenor. Auch der Rest des versammelten Ensembles erledigte seine Aufgaben exzellent, sowohl gesanglich als auch darstellerisch – man merkte die feine Personenregie sogar bis in die kleinste Statistenrolle; ebenso boten die Herren des Chors einen kurzen, aber stimmstarken Auftritt.

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Aušrinė Stundytė (Nastassja Filippowna Baraschkowa)
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Am Pult der Wiener Philharmoniker schien Mirga Gražinytė-Tyla das Orchester ganz besonders zu inspirieren, denn auch wenn man von diesen Musikern ohnehin höchstes Niveau gewohnt ist, war diese Vorstellung noch einen Tick spezieller und besser. Weinbergs Partitur schimmerte in unzähligen Farben – mal düster brodelnd und mal golden strahlend – und das Orchester schien die Geschichte durch die Musik nicht nur zu erzählen, sondern sie auch zu kommentieren. Und so wurde dieser Abend in jeder Hinsicht der wirklich große Wurf der Salzburger Festspiele!

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