„Im Griechischen gibt es für Interpretation ein wunderbares Wort: ‚ermenia‘. Darin steckt Hermes, der Götterbote.“ Dass es Leonidas Kavakos wichtig ist, zu verstehen, dass nicht der Interpret das Wesentliche ist, sondern die Botschaft des Komponisten, belegte eindrucksvoll seine Darbietung von Bartóks Zweitem Violinkonzert beim Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin unter Lorenzo Viotti.
Kavakos verfügt über eine fantasievolle Phrasierungstechnik, die es ihm ermöglicht, die kantablen Nuancen des im Stile des Verbunkos erfundenen Hauptthemas deutlich hervorzuheben, mit dem Bartóks Violinkonzert – nach einem Vorhang – beginnt und das dem gesamten Werk zugrundeliegt. Das Charakteristische dieses Werbetanz-Themas akzentuierte er dadurch, dass er die aufeinanderfolgenden Töne der Melodie entweder durch einen leichten Schleifer oder ein kurzes Glissando erweitert, um sie flüssig miteinander zu verbinden.
Kavakos’ Ton ist wandlungsfähig. Darum gelang es ihm, das im Werk ständig variierte Thema in vielen Facetten erklingen zu lassen. So wurde deutlich, dass das ganze Konzert, nicht allein der mittlere Satz, als eine freie Variationenfolge entfaltet wurde. Die Spielepisoden täuschte Kavakos geschickt als in den Satz wie eingestreute Improvisationen vor. In der Solo-Kadenz entfaltete er nicht allein eine große virtuose Farbpalette, sondern bezeugte sein großes Formgefühl, wenn er in ihr den ganzen Satz wie im Zeitraffer noch einmal Revue passieren ließ.
Lorenzo Viotti legte das Gewicht dagegen mehr auf das Extrovertierte, was dem konzertanten Gegenüber gut entsprach, obwohl es manchmal doch dazu führte, dass das Soloinstrument übertönt wurde.
Gesangliche Eintracht stand im Andante im Vordergrund. Hier hielten einander Improvisation und Variation, die Waage. Die Violine trat mit verschiedenen Orchesterinstrumenten in einen Dialog, so etwa sehr delikat in der zweiten Variation mit der Harfe.
Im Schlusssatz wurde der ernste Kopfsatz in einen mitreißenden Tanz transformiert, um die Brücke zu schlagen. Mitunter hätte ich mir gewünscht, dass die Walzer-Anklänge, die Bartók in das variierte Verbunkos-Hauptthema eingebracht hat, etwas deutlich zu hören gewesen wären.

Im Kopfsatz Dvořáks Siebenter Symphonie ist die Sonatenform zwar verwickelt, aber organisch auskomponiert. Einige kurze, prägnante Motive sind in diesem Satz wichtiger als die Hauptthemen, so etwa die Fanfare des Hussitenliedes. Die ist in dem dramatischen Donnerwetter des d-Moll-Gewitters mitunter etwas untergegangen. Umso schöner konnten sich die wenigen Idyllen, die diesem Satz gegönnt sind, entfalten. Überzeugend gelang auch die zerfurchte Themengestalt, mit der der Satz beschlossen wird.
Dem Scherzo hätte es gut getan, wenn der Tanz latent in einen Marsch transformiert worden wäre, um ihn in den letzten Satz zu katapultieren. So aber blieb er nur ein raffiniertes Genrestück, in dem das Metrum in der Schwebe gehalten wurde. Zu Beginn des Finales überragte die Gebärde der Introduktion dann den Satz. Viotti ließ sie sich über den ganzen Satz ausbreitete und alle anderen Themen in den Hintergrund drücken. Sehr eindrucksvoll gelangen die Schlusstakte: In die Duraufhellung wurde kein Triumph erzwungen, sondern reißender Schmerz artikuliert, der den Triumph als ziemlich gequält erklingen ließ.