Er ist einer der bekanntesten Künstlermythen: Ovids Pygmalion und die Geschichte des Bildhauers, der sich in seine Statue verliebt. Eine erschaffene Wunschfrau, die gar zum Leben erweckt wird – Ausgangspunkt kunstgeschichtlicher und darüber hinausreichend philosophischer Grundfragen über Natur und deren Nachahmung, Ästhetik und Formgrenzen. Eine besondere Blüte erlebte die Auseinandersetzung mit Pygmalion im Barock, vor allem durch Voltaire, danach durch Rousseau; und zwar in Form von Ballettmusiken, später in der neuen Gattung der Melodramen, in denen die Musik nun eine eigene Ausdruckskraft, eine Empfindsamkeit, abseits vom bislang geltenden Vorrang des Texts und Gesangs besitzt.

Bevor Rousseau 1762 seinen Pygmalion verfasste, hatte Rameau, „Gegner“ im sogenannten Buffonistenstreit, 1748 seine Vertonung vorgestellt. Weitere drei Jahre zuvor tat dies Preußens Musikboss Carl Heinrich Graun in Berlin, zunächst anlässlich des französischen Zwischenaktballetts zur Oper Adriano in Siria, italienisch-französische Zweisamkeit also. Schließlich wurden Grauns italienische Werke nach seinem Tod durch die einen abermaligen italienisch-französischen Disput heraufbeschwörenden Reformstücke Glucks, dem neuen Star, verdrängt. Im Jahr Rousseaus Schreibbeginns an Pygmalion komponierte jener Gluck seinen berüchtigten Orfeo, der Ovid-Klassiker überhaupt, dessen „Tanz der Furien“ aus kurz davor dargestelltem Finale des Wiener Balletts Don Juan, ou le Festin de Pierre entstammt. Don Juan, ebenfalls eine der populärsten Statuenstories, endet nämlich in der Unterwelt, in die Orfeo hinabsteigt.
Sowohl Don Juan als auch vorherige Histoire de Pygmalion Grauns hatte Alte-Musik-Besonderheiten-Spezialist Alessandro De Marchi für sein Gastdirigat bei den Duisburger Philharmonikern mitgebracht. Heute erst recht für ein klassisches Symphonie- und Opernorchester mit Glucks Don Juan in zweiter Fassung in nicht sonst allzu gekürzter Suitenzusammenstellung allerseltenstes oder mit Graun noch erheblich rareres Repertoire. Doch pflegen die Duisburger seit langem eine konstante Verbindung zu Barockem oder generell weitreichend Historisch-Informiertem. Das merkte man, als Grauns 31 (der ursprünglich 40) galanten Sätze transparent und in fast haptischer Qualität Gestalt annahmen, indem die Musiker mit Barockbögen bei den hohen Streichern mit aufführungspraktischer Stilsicherheit in Phrasierung und wenig Vibrato (wie die Bläser), rhythmisch engagiert, dazu wach in den peppigen und grazileren Wechseln sowie den starken dynamischen Modulationen mit Platz für weitere Kontraste agierten.
Exemplarisch sei die umgesetzte Exzellenz in der Bogenbetonung in insbesondere zur Geltung gekommenen drei Sätzen des zweiten Graun-Akts, Fièrement, Allegro und Adagio, herausgegriffen. Im Grunde boten aber sämtliche Tanzmouvements ein gehöriges Maß an versierter Artikulation und sehr gefälliger Unterhaltung; und sie liefen wie am Schnürchen, was auch den exakten, eleganten Vorgaben De Marchis zu verdanken war, der zudem eine Vielzahl der Nummern am Cembalo zusammen mit dem zweiten Modell (daran Olga Watts, Cembalistin bei Grauns Adriano 2024 in Potsdam unter Dorothee Oberlinger) spielte. Dafür hatte er sich eine experimentellere, gut funktionierende Aufstellung ausgedacht, auf die sich die Philharmoniker ebenso bereitwillig einließen. Die hohen Streicher standen mittig zusammen hinter den davor sich gegenüberliegenden Cembali, die flankiert waren von doppelantiphon sitzenden Fagotten und Celli, dahinter aufgesplittet die übrigen Bläser von Oboen, Flöten und Hörnern stehend, daneben je zur hinteren Reihe die Kontrabässe, in deren Zentrum sich das Schlagwerk (Trommel und Tambourin) positionierte.
Zur zahlen- und klangmäßig für das Repertoire schon vollen Besetzung kamen in Glucks Don Juan-Version die Trompeten für Sinfonia und Versenkung dazu, für Letztere und dieser vorgelagertem Larghetto klassisch noch die Posaune sowie anstelle der Pauken die Gran Cassa, Windmaschine und das Donnerblech, für die „Spanische Chaconne“ die Kastagnetten. Wenngleich sich die flammende Kontrast- und Tempofreude hier – in, zugegeben, Glucks diffizilen Nuancen an Satzbezeichnungen – im Verhältnis zu Graun und vor dem Hintergrund bereits stets angenehm flüssiger Andantes reduzierte, überzeugten Betonungs- und Akzentpfiff mit nun folkloristischerer Note. Die Duisburger Philharmoniker und De Marchi erbrachten so den erneuten Beweis des Außergewöhnlichen; zugleich, dass solche Werke, Komponisten und Spielweisen keine Grenzen kennen, ja, Selbstverständlichkeit in einem großen Orchester-Saisonkonzert sein sollten.