L'Arpeggiata ist ein aufregendes Alte Musik-Ensemble mit außergewöhnlichen Musikern und außergewöhnlichen Ideen. In Zusammenarbeit mit Künstlern aus aller Welt öffnet jedes Programm Türen zu neuen musikalischen Welten und verbindet die Originale mit modernen Einflüssen wie kein anderes. Für die Zusammenarbeit mit der Belgischen Sopranistin Céline Scheen, dem Italienischen Tänzer und hier Altus Vincenzo Capezzuto und Jazzklarinettisten Gianluigi Trovesi hat der kreative Kopf Christina Pluhar nun ein weiteres Programm um die Musik des Barock-Klassikers Henry Purcell entworfen.
„Music for a while“ kombiniert Purcells Kompositionen mit jazzigen Improvisationselementen im charakteristischen Stil des Ensembles, der musikalisches Können mit einem offenen, oft humorvollen Blick auf die Werke verschmilzt. Diese Rundreise durch Purcells Bühnenwerke begann mit und war gelegentlich durchsetzt von einem Instrumentalstück; sie versprach sehr unterhaltsam zu werden, und ab den ersten Takten von Maurizio Cazzatis Ciaccona strahlten die Musiker eine solche Spielfreude aus, dass nicht einmal eine verklemmte Taste in der Tonorgel (die zweier Musiker bedurfte, um zu versuchen, das Problem zu lösen) sie dämpfen konnte.
Da ich zuvor zahlreiche Aufnahmen des Ensembles mit dem brillanten Philippe Jaroussky gehört hatte, war ich sehr neugierig auf die Vokalisten des diesjährigen Auftritts beim Heidelberger Frühling und verfiel sofort Céline Scheens punktgenauen Piani, in denen sie das Titelwerk vorstellte. Ihre Stimme klang bisweilen sehr halsig, wenn sie sie öffnete, und obwohl sie mit ihren silbrigen Spitzentönen die Heidelberger Stadthalle mit Leichtigkeit auch ohne Verstärkung ausfüllen konnte, so erreichen ihre Konsonanten oft gerade einmal den Bühnenrand. Die Art, wie sie die Stücke darbot, ließ einen das allerdings vergessen.
Ah! Belinda gab schon einmal einen Vorgeschmack darauf, mit welcher emotionalen Intensität sie ein Lied versehen konnte, aber Dido's Lament war schlichtweg atemberaubend. Sie arbeitete mit subtilen dynamischen Nuancen und Farben, und ihr erstes „Remember me“ in einem warmen, samtigen sotto voce vermittelte so viel Schmerz und Verzweiflung wie ein Mensch ertragen kann. Es fühlte sich an, als reichte die Musik direkt in die Seele hinein und berührte mein Innerstes. Dem folgte ein starkes „Remember me“ wie ein Aufschrei, ein letzter Versuch, sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Anders als bei vielen anderen Liedern, die vom einen ins andere überblendet wurden, stand When I am laid für sich, und das war richtig und nötig. Viele, tief berührte Sekunden verstrichen, bevor der erste Zuhörer sich auch nur in seinem Sitz zu bewegen wagte.
Männlicher Begleiter an ihrer Seite war Vincenzo Capezzuto, und obwohl seine Mimik und Gestik der Jarousskys oft gespenstisch ähnlich waren, so ist seine Stimme doch noch höher, unglaublich hoch, klar und jugendlich. Sein Ambitus schien recht begrenzt, doch bei seiner spritzigen Darbietung verzieh man gerne den gelegentlichen gedrückten Ton und die lose Artikulation. Er flirtete heftig mit der Klarinette, als er die Bühne zum ersten Mal betrat, sang ein amüsantes T'was within a furlong of Edinborough Town und ein Man is for woman made, das einem mit jeder Zeile frech zuzuzwinkern schien.
Es war ein Konzert, in dem ein Höhepunkt den nächsten jagte. Noch jetzt spüre ich die den immensen Eindruck, den dieses Konzert gemacht hat, geradezu körperlich, und der Rahmen dieser Kritik kann all die wunderbaren Dinge nicht fassen. Seitenweise könnte ich berichten, von der Natürlichkeit, mit der die Arrangements zwischen Alter Musik und Jazz schillerten, alte und neue Harmonien verschmolzen, wie sich Musik des Barock plötzlich in einen Cha-Cha oder Blues verwandelte, wie die improvisierten Passagen ganz natürlich aus den komponierten Weisen erwuchsen. Wie Boris Schmidt mit seinem ganzen Körper musizierte, liebevoll mit seinem Kontrabass tanzte, sich mit der manchmal schneidenden, doch superb gespielten Klarinette duellierte, die mit ihrem plötzlichen improvisatorischen Ausbruch in Strike the viol auf und vor der Bühne für überraschte Gesichter sorgte. Über das ausgedehnte, spannende Perkussionssolo, und vor allem darüber, wie die Musiker beim Spielen eine unfassbare Freude ausstrahlten. Sie kommunizierten, dann lehnten sie sich zurück und lauschten fasziniert den Improvisationen ihrer Kollegen, und es war offensichtlich, dass sie alle einfach großen Spaß hatten.
Und den hatte man als Zuhörer auch. Hark! how the songsters of the grove aus Orpheus Britannicus war als letzter Programmpunkt der Auftakt zum großen Finale eines Abends, der nicht ohne Zugaben enden konnte – die wiederum mit Überraschungen aufwarteten. Wo schon das Spielen und Singen allein faszinierend anzusehen war, boten die Zugaben eine wahre Show. Die Sänger tanzten Hip Hop, Capezzuto konnte dabei seine professionellen Tanzkünste zeigen, Zinkenist Doron Sherwin gab in Mütze und Sonnenbrille eine gute Prise Rap dazu: „We like our Handel with a little back beat.“ L'Arpeggiata sagten ein letztes Lebewohl mit Leonard Cohens Hallelujah, das so überwältigend schön war, dass so einige Zuhörer Tränen in den Augen hatten.
Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ich dieses Konzert genossen habe. Das muss man selbst erleben.