Ein Vorspiel wie kein anderes – was Christian Thielemann und das Festspielorchester bei der zweiten Lohengrin-Vorstellung bei den Bayreuther Festspielen gleich zu Beginn aus dem verdeckten Graben zauberten, katapultierte wohl jeden und jede aus der Aufregung am Grünen Hügel – die Roben! die Promidichte! – in eine märchenhafte Welt. Wie zart und doch selbstverständlich sich die Instrumente in ein größeres, schwebendes Ganzes fügten, würde man gern als „blaues Wunder“ bezeichnen, wäre dieser Ausdruck (in teils bewundernder, teils ironischer Verwendung) nicht bereits fest mit der Inszenierung aus 2018 verbunden.

Elza van den Heever (Elsa von Brabant) © Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath
Elza van den Heever (Elsa von Brabant)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Laut Programmheft blickt die Regiearbeit von Yuval Sharon in der Ausstattung des Malerehepaars Neo Rauch und Rosa Loy „durch den Äther“, auch wenn das markante Hintergrundbild mit pastos gemalten, dramatischen Wolken eher romantisch-expressionistisch als ätherisch wirkt. Seinen großen Auftritt hat es im zweiten Akt als nächtliches Niemandsland, in der Ortrud vor windgepeitschten Gräsern die Saat des Zweifels in Elsas Herz streut. Dennoch hätte dieser Akt mehr Bewegung und Licht vertragen, was man von den beiden anderen nicht behaupten kann: Da tummeln sich Menschen mit Insektenflügeln um eine Transformatorstation wie die Motten ums Licht, denn im Setting einer posthumanen Krise ist Strom Mangelware. Erst Lohengrin leitet die Energiewende ein und bringt statt eines Schwerts einen Blitz mit. Im Brautgemach dominiert dementsprechend warmes Orange, das einen Gegensatz zum fahlen Blau und Rost der Außenwelt bildet.

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Piotr Beczała (Lohengrin)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Orange ist also jener Ort, an dem Elsa das Licht der Erkenntnis aufgeht – zumindest kann man es so sehen, denn diese Inszenierung zeigt Elsas Beziehung mit Lohengrin so, als würde sie damit lediglich ihre Fesseln und Zwänge wechseln, weshalb sich ihr die verbotene Frage (und somit der Weg in die Freiheit der Eigenständigkeit) geradezu aufdrängt. Dabei ist nicht alles Gezeigte schlüssig, manches auch nur wunderlich, doch fühlt man sich als Publikum stets unterhalten und geistig angeregt. Den Vorwurf mangelnder Komplexität kann man dieser Inszenierung jedenfalls nicht machen.

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Olafur Sigurdarson (Friedrich von Telramund) und Miina-Liisa Värelä (Ortrud)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Musikalisch darf man sich als Wiener Wagnerianerin über das, was die Heimat bietet, ebenfalls freuen – zuletzt erlebte man an der Wiener Staatsoper Christian Thielemann mit Klaus Florian Vogt als Ritter von der zerschlissenen Rüstung. Allerdings verzaubern die Bayreuther Klangverhältnisse selbst dort, wo man keine Überraschungen mehr erwartet. Silberklang, Gralslicht – man kann es nennen, wie man will, aber die Magie des besprochenen Abends wird einen noch lange begleiten, denn neben dem Vorspiel zum ersten Akt gelang auch etwa das Finale des zweiten mit seinen Heil-Rufen vor dem Elektro-Münster überirdisch. Damit machte der Chor auch wett, dass das Ensemble vor dem Gottesgericht im ersten nicht ganz geschlossen war, und die einen oder anderen Wort-Endungen im Brautlied überbetont waren – hier lebt sich noch neues Personal ein. Wenn man musikalisch etwas vermisste, war es die Lautstärke beim Vorspiel zum dritten Aufzug, die das Publikum andernorts – wohl nicht werktreu, aber immer beeindruckend – geradezu in den Sitz drückt.

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Michael Kupfer-Radecky (Der Heerrufer des Königs)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Definitiv von den Sitzen war das Publikum am Ende der Vorstellung, um den Dirigenten zu feiern. Allerdings wurden auch die Sängerinnen und Sänger so frenetisch gefeiert, dass die Bretter des Auditoriums vom Getrampel des Publikums zu schwingen begannen. In erster Linie würdigte man Piotr Beczała als einen Lohengrin von noblem Klang, der in der Gralserzählung aufgrund zurückgenommener Untermalung aus dem Graben mutig exponiert war. Ein starker Effekt, der nur mit den Allerbesten ihres Fachs funktioniert. Lediglich in der Brautgemach-Szene, in der er Elsa fesseln muss, bemerkte man ein paar winzige Unsicherheiten – vielleicht ein Indiz dafür, dass ihm diese Regieidee nicht besonders liegt, auch wenn er diese Inszenierung aus der Taufe hob.

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Elza van den Heever (Elsa von Brabant) und Piotr Beczała (Lohengrin)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Elza van den Heever wurde beinahe ebenso akklamiert wie Beczała, auch wenn ihre dramatische, manchmal scharfe Stimme nicht gerade das ist, was sich Richard Wagner als „das Reizendste und Ergreifendste“ für die Partie der Elsa gewünscht hat. Allerdings passt sie gut in diese Inszenierung, die Elsas Emanzipation aus der männlichen Bevormundung zeigen will.

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Piotr Beczała (Lohengrin)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Ortruds Führerschaft in der Ehe mit Telramund ist bekannt, bekommt aber hier mit einem Fußtritt, den sie ihrem von Lohengrin besiegtem Angetrauten verabreicht, eine neue (fragwürdige) Dimension, zumal sie ihn bald darauf erotisch umgarnt. Ähnlich wie van den Heever für Elsa ist Miina-Liisa Värelä eine nicht ganz typische Besetzung für Ortrud, da Väreläs Stimme für das „fürchterliche Weib“ bei aller Dramatik rund und farbenreich ist. Aber auch hier gilt, dass sie mit ihrer robust-selbstbewussten Bühnenpräsenz hervorragend in das Regiekonzept passt, das Ortrud als Mutterfigur interpretiert. Leider war sie nicht immer wortdeutlich, was sie mit ihrem Telramund (Ólafur Sigurdarson) gemeinsam hatte.

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Elza van den Heever (Elsa von Brabant) und Statist der Bayreuther Festspiele (Gottfried)
© Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Letzterem fehlte für den beinahe italienischen Arienschluss seiner großen Szene („Mein Ehr‘ ist hin!“) auch etwas Temperament. Michael Kupfer-Radecky schallte als Heerrufer nicht ganz so sonor wie erwartet, doch hatte er die nötige Bühnenpräsenz. Das Sonore ist wiederum Mika Kares‘ Markenzeichen, doch gab er gesanglich wie darstellerisch einen recht statischen König Heinrich. Alles in allem darf man aber von einem packenden Abend berichten, an dem man das Festspielhaus wie beflügelt verließ.

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