„Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Musik von ihm höre. Die ist immer frisch erfinderisch, wie man so experimentierfreudig es bei keinem seiner Zeitgenossen findet. Ein Avantgardist seiner Zeit. Telemann war ein Beweger, fortschrittlicher als sein Freund Bach.“ Das sagt Komponist Wolfgang Rihm. Mit meinen Worten drückte ich die mir stets schon zu eigen gemachte Ansicht zuletzt im Artikel aus Anlass Telemanns Dienstantritts in Hamburg aus, in dem auch das Großprojekt von Felix Koch mit seinem Neumeyer Consort und den Gutenberg Soloists zur Sprache gebracht wurde, das sich um das Wirken in dessen vorherigem Arbeitsort, Frankfurt am Main, und sogar davorliegender Stätte dreht: Die vollständige Einspielung und Aufführung Telemanns sogenannten Französischen Jahrgangs 1714/15 aus Eisenach'scher Ergebung und Duoreferenzerweisung an Kantatentextlegende Erdmann Neumeister.

Georg Philipp Telemann bei Valentin Daniel Preisler © Public domain
Georg Philipp Telemann bei Valentin Daniel Preisler
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Das in diesem März erfolgte sechste Konzert der Reihe mit den Figuralmusiken für Himmelfahrt und Pfingsten sowie einem Auszug der Exaudi-Kantate wurde nun bei RheinVokal wiederholt. Dass es sich dabei um Schätze handelt und sie als solche wahrgenommen werden können beziehungsweise abendlich bei manch üblichen schwierigeren Akustikverhältnissen für die Verständlichkeit konnten, lag an der Qualität und darin herübergebrachtem, werbendem Enthusiasmus der Musiker. Damit boten sie zum einen Telemanns Musik allgemein in aller äüßerlichen Leichtig- und Geschmacklichkeit sowie innerlichen Souveränität und Nachvollziehbarkeit, zum anderen kantatenkonkret im gläubigen Vortragskonglomerat aus Vertrauen, Freude und Festgestus überzeugend dar. Instrumental gleich mit dem Ritornell der Himmelfahrtskantate Der Himmel ist offen – wie fast ganzer Katalog auch bei Feiertagspomp nur für das Grundorchester aus Streichern, Basso continuo und zwei prächtigen Oboen gesetzt –, das mit umwerfender Gelenkigkeit, Rhythmik sowie dem Zusammentreffen von Inspiration und Spiritualität in den (Telemann-)Himmel empfangend hineinzog.

Gesanglich legten sich die Gutenberg Soloists in den sowohl lebendigen, bewegten als auch lichten, volltönenden Chören und Chorälen ins Zeug, unterteilt von den Solisteneinsätzen. Darin gefielen Tenor Christoph Pfaller mit dramatischerer und diktions- wie deklamationsbewusster Ansprache, Sopran Agnes Kovacs als etablierte Residenzgröße mit zierlich-lieblichem Einbringen, das allerdings zwecks eigentlich lobenswerter Stilakkuratesse dynamische Verzagtheit aufwies, und Bass Nicolas Ries mit wohlgeformter, resonanzlicher Deutlichkeit. Ergänzten im Chor sowie in der als Zugabe präsentierten Altarie und dem Choral der schlicht Ehrfurcht und Umsetzungserfreunis anfachenden Exaudi-Kantate Alle, die gottselig leben wollen die Hörner die Gutenberg Soloists und den ansprechend phrasierenden, vor allem in der gedehnten Höhe seine Kopfstimmenstärke austragenden Solisten Jeff Mack, colla parte, sorgten Telemann und jetzige Musikanten in Der Herr ist mein Hirte für den dritten Pfingstsonntag dafür, mit weiteren Annehmlichkeiten nicht mehr aus diesem Himmel zu fallen.

So mit einer wärmend, umarmenden Fuge mit strahlenden Sopranen, einem eleganten, aufgehobenen Chor, ohne je Gefahr zu laufen, in Belanglosigkeit zu geraten, erst recht nicht bei legato genommener, „gabenvoller“ Wirksamkeitsartikulation samt kontrastierend abgesetzterer Überraschung, den energischen Treueschwurstatements. Und mit den Kommentierungen von süßlich-schmucker, ein wenig mehr Emphase generierender Kovacs, betontem Mack, bei baritonaler kleiner Einschränkung sehr ordentlich erfüllendem Ries und einem Pfaller, der seine Stimmfähigkeit mit weicher Einschmeichelung und kernigerer Gewissheitsbegegnung am prägnantesten einsetzte. Gar am auffälligsten opernhaft umgesetzt hat Telemann seine – wieder mit Hornpaar bestückte – Kantate für den zweiten Pfingstsonntag Also...Schweig, mein Mund, für die Ries mit einem rüffelnden leichten „Schweig“-Rempler aus den Chor-„Alsos“ trat, um Pfaller das Jesus vorbehaltene Bibelwort „hat Gott die Welt geliebet“ ausreden zu lassen. Ihm folgten in ersichtlichem Trotz und Dank theatralisch gesteigertere Chöre, Kovacs' Accompagnato und Ries' gut gelegene Arie von unerschütterlicher Wohlgesonnenheit.

Rihms Gefühl auf treffendste Weise bezeugt, endete diese Vorstellung mit dem symmetrischen, Trinität symbolisierenden Kantaten-Coup Wer mich liebet, der will mein Wort halten für den ersten Pfingstsonntag. Bereiteten Chor, Soli – zentral Kovacs' ornamentierte, förmliche Arie, erneut exakte, stilsichere Spitzen ohne Volllast – und munteres Ensemble aufregendes Finale vor, regnete darin in Feuerzungenlegende der Heilige Geist im tonversetzenden Fugat-Durcheinander herab. Ein Telemann-Wunder.

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