Gibt's was zu feiern? Abgesehen davon, dass man in diesen Zeiten als Musiker zusammenkommen und seine Leidenschaft wenigstens virtuell mit Zuhörern auf der ganzen Welt teilen kann, wird sich immer irgendetwas finden lassen! Meistens sind das runde Jubiläen der Komponisten. Das Philadelphia Baroque Orchestra Tempesta di Mare nahm in der Festwoche der Alten Musik, die – begonnen mit dem Geburtstag Telemanns – mit dem Ehrentag Bachs endet, das Jahr 1721 zum Anlass, dort erschienene einzelne Werke ihres Repertoires zu würdigen. Unter ihnen zwei absolute Klassiker der angesprochenen Hauptfiguren des Barocks, die Ouvertüren-Suite TWV 55:G4 und das Vierte Brandenburgische Konzert. Dazu aber auch zwei Concerti von Locatelli und dall'Abaco.

Zu Bachs Brandenburgischen Konzerten muss nicht viel gesagt werden. Ihre Bekanntheit spricht für sich, darunter dass die originale Nummer Vier drei Solisten vorsieht, eine Violine und zwei Blockflöten. Obwohl für spezielle Köthener Echoflöten in tiefem französischem Kammerton gedacht, tat es der Beliebtheit keinen Abbruch, als das Konzert spätestens seit der eigentlichen Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert von in Stimmtonhöhe standardisierten Alt-Blockflöten gespielt wird. Nicht anders Ensembledirektorin Gwyn Roberts und ihr Solistenkollege Forrest Ransburg, die ihrerseits positives Echo in ihrem routinierten Spiel hervorriefen, vor allem im prägnanten, tatkräftig voranschreitenden Andante. Die Tempowahl im Mittelsatz barg zwar die Gefahr mangelnden Absetzens zum Presto; Konzertmeister Emlyn Ngai überzeugte darin jedoch – selbst wenn Betonung und Dynamik, wie in den anderen Programmpunkten akkurat aufgezeigt, noch ausgeprägter hätten zum Vorschein kommen dürfen – unter anderem mit der Beherrschung der heiklen Bariolage-Stelle. Genauso meisterte er die technischen Anforderungen im Eingangssatz, in dem sich sowohl das gefürchtete Fingergewusel als auch die teils kniffligeren, melodiösen Saiten- und Lagenwechsel in Wohlgefallen auflösten.

Zu Telemann ließe sich dagegen so Vieles sagen, unter anderem sein unverkennbarer Umgang mit Aktualität und die originell-komische Verarbeitung des Ernsten. Die Ouverture des nations anciens et modernes greift dabei im Unterschied zur Völker-Ouvertüre in der Beschränkung auf die Darstellung von Deutschland, Schweden und Dänemark sowie die Einteilung in ein früheres und modernes Völkchen zwei Begebenheiten auf: den Kunststreit zwischen französischem und italienischem Musikstil (veranschaulicht durch Tanzsatz „ancien“ und freierer Arienform „moderne“) und den Zweiten Nordischen Krieg zwischen dem vorherrschenden Schweden und der Dänemark-Allianz. Lebensfreude und ein Höchstgefühl an Organik vermittelte Tempesta di Mare dabei in der einleitenden Ouvertüre, die mit den Traversflöten Roberts' und Ransburgs genauso bestückt war wie das doppelte, tüllhaft-elegant präsentierte Menuet, zweiteres allein mit Flöten und Continuo, was sich bei dall'Abacos Concerto in diesem französisch-italienischem Miteinander übrigens wiederholen sollte.

Telemanns „Alte Deutsche“ ließ das Orchester, nun mit Sopranblockflöten, auf herrliche Weise Plattfüße angedeihen, während die modernen Vertreter aufhüpften und umherwirbelten. Der „Alte Schwede“ kam eigentlich als anmutiger Weltbürger daher, dem aber eine gewisse Antiquiertheit und Überheblichkeit nicht abzusprechen war. Die neue Variante trat dagegen kleinlaut auf. Kein Wunder, zog sie den Kürzeren gegenüber den Dänen, die alt und neu – frisch, gelassen und flink – ohne Haudrauf-Attitüde verbanden. Ein Suiten-Abräumer darf natürlich nicht fehlen, bei diesem Komponisten extra grotesk: der Auftritt der „Alten Weiber“, deren Verschrobenheit in der Interpretation zum Schießen war und somit in der lautmalerischen Artikulation zum Heulen, klagen die Damen in zweifacher Bedeutung gleichsam über die unweigerlich leidvollen Verluste.

Auch wenn es bei den schnellen Sätzen Locatellis Konzert Nr. 2 aus Op.1 kleine intonatorische Einschränkungen zu vernehmen gab, wartete das Ensemble mit selbstbewusstem, im Temperament gesteigerten Ton auf, der bei dall'Abacos Nr. 3 seiner Op.5-Sammlung um die liebreizenden, warmen Farben der Traversi ergänzt wurde. Eine gesamte Bereicherung erfuhr er mit der angesprochenen Spiellust, als effektvolle, lebhafte Kontraste in Dynamik und Satzstruktur, das figürliche Antworten der gegenüberliegenden zweiten Geigen im Allegro, die knackigen Akzente der Barockgitarre Co-Direktor Richard Stones' sowie dem rhythmischen Schwung der Passepieds a very good year, and such a performance festhielten.


Die Vorstellung wurde vom Stream von Tempesta di Mare rezensiert.

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