Neun Jahre nach der Wiener Erstaufführung bringt die Wiener Staatsoper wieder The Tempest, welches nach Le Grand Macabre und Animal Farm zweifellos das zugänglichste Stück zeitgenössischen Opernschaffens in dieser Saison ist. Ewig faszinierender Shakespeare in modernem Gewand, das „hat was“.
Zwanzig Jahre sind seit der Uraufführung von The Tempest am Royal Opera House in Covent Garden vergangen – eine Zeit, in der etliche andere zeitgenössische Werke schon längst wieder in den Archiven verschwunden sind. Großen Verdienst an dem anhaltenden Erfolg hat nicht nur der Komponist, sondern auch Meredith Oakes mit ihrem klugen Libretto, das Shakespeare behutsam modernisiert hat – in einer Sprache, die nicht historisiert, aber doch die Klasse eines Klassikers hat. Zudem hat Oakes so geschickt an der Handlung gedreht, dass man gar keine Vergleiche zum Original ziehen will: Wenn Prospero die Verbindung seiner Tochter Miranda mit Ferdinand (dem Sohn seines Todfeindes) verhindern will, die Macht der Liebe aber letztendlich über Prosperos Zauberkünste siegt, dann ist das zwar nicht Shakespeare, aber allemal eine romantische Geschichte mit einer schönen Botschaft.
Was die musikalische Seite betrifft, so macht es Thomas Adès weder seinen ausführenden Künstlerinnen und Künstlern, noch seinem Publikum einfach. Der Sturm-Beginn ist zwar mit Verdis Otello dramatisch verwandt, doch von ganz eigenem Charakter. Adès zeichnet keine Gewitterböen, sondern lässt vielmehr Halbtondissonanzen wie Wassertropfen in einem Wirbelsturm über dem Meer kreisen. Dissonante Herausforderungen sind bei Adès aber Mittel zum Zweck, Atmosphären und Stimmungen wiederzugeben, und die Insel im „Sturm“ ist ja bekanntlich voller Geräusche und Töne.
Dennoch bleibt die Komposition weitgehend tonal, wird im Laufe des Stücks lieblicher und zeichnet so die Entwicklung von Chaos und Rache zu einem glücklichen Ende nach. Speziell die Partie des Ferdinand ist mit so charmanter Musik bedacht, wie sie einem Traumprinzen gebührt, und auch Ariel hat neben Passagen, die die Grenze zum Singbaren mitunter überschreiten und sich wie Strauss‘ Zerbinetta auf Drogen anhören, mitunter Zauberhaftes zu singen – etwa die berühmten Zeilen „Five fathom deep…“.
Die Inszenierung von Robert Lepage und seiner Theaterkompanie Ex Machina wirkte bei der Erstaufführung etwas betulich, fast zu klassisch für eine moderne Komposition. Allerdings hat man in Wien seither genug fragwürdige Inszenierungen gesehen, sodass man die hier besprochene mittlerweile sehr viel mehr schätzt als seinerzeit. Als Bühnenbild fungiert das Innere der Mailänder Scala aus verschiedenen Perspektiven: Im ersten Akt erlebt man den Blick von der Bühne ins Auditorium, was im zweiten Akt umgekehrt wird: Wenn zum Ende Ferdinand und Miranda aus einer Waldkulisse in einen Sonnenuntergang am Meer schreiten, kann man tatsächlich von Theatermagie sprechen. Der dritte Akt lässt zunächst hinter die Kulissen blicken, bis schließlich ein Längsschnitt von Bühne samt Unterboden, Graben und Auditorium gezeigt wird.