Neun Jahre nach der Wiener Erstaufführung bringt die Wiener Staatsoper wieder The Tempest, welches nach Le Grand Macabre und Animal Farm zweifellos das zugänglichste Stück zeitgenössischen Opernschaffens in dieser Saison ist. Ewig faszinierender Shakespeare in modernem Gewand, das „hat was“.

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Adrian Eröd (Prospero)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Zwanzig Jahre sind seit der Uraufführung von The Tempest am Royal Opera House in Covent Garden vergangen – eine Zeit, in der etliche andere zeitgenössische Werke schon längst wieder in den Archiven verschwunden sind. Großen Verdienst an dem anhaltenden Erfolg hat nicht nur der Komponist, sondern auch Meredith Oakes mit ihrem klugen Libretto, das Shakespeare behutsam modernisiert hat – in einer Sprache, die nicht historisiert, aber doch die Klasse eines Klassikers hat. Zudem hat Oakes so geschickt an der Handlung gedreht, dass man gar keine Vergleiche zum Original ziehen will: Wenn Prospero die Verbindung seiner Tochter Miranda mit Ferdinand (dem Sohn seines Todfeindes) verhindern will, die Macht der Liebe aber letztendlich über Prosperos Zauberkünste siegt, dann ist das zwar nicht Shakespeare, aber allemal eine romantische Geschichte mit einer schönen Botschaft.

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Daniel Jenz (Antonio), Michael Arivony (Sebastian) und Toby Spence (König von Neapel)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Was die musikalische Seite betrifft, so macht es Thomas Adès weder seinen ausführenden Künstlerinnen und Künstlern, noch seinem Publikum einfach. Der Sturm-Beginn ist zwar mit Verdis Otello dramatisch verwandt, doch von ganz eigenem Charakter. Adès zeichnet keine Gewitterböen, sondern lässt vielmehr Halbtondissonanzen wie Wassertropfen in einem Wirbelsturm über dem Meer kreisen. Dissonante Herausforderungen sind bei Adès aber Mittel zum Zweck, Atmosphären und Stimmungen wiederzugeben, und die Insel im „Sturm“ ist ja bekanntlich voller Geräusche und Töne.

Dennoch bleibt die Komposition weitgehend tonal, wird im Laufe des Stücks lieblicher und zeichnet so die Entwicklung von Chaos und Rache zu einem glücklichen Ende nach. Speziell die Partie des Ferdinand ist mit so charmanter Musik bedacht, wie sie einem Traumprinzen gebührt, und auch Ariel hat neben Passagen, die die Grenze zum Singbaren mitunter überschreiten und sich wie Strauss‘ Zerbinetta auf Drogen anhören, mitunter Zauberhaftes zu singen – etwa die berühmten Zeilen „Five fathom deep…“.

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Frédéric Antoun (Caliban)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Die Inszenierung von Robert Lepage und seiner Theaterkompanie Ex Machina wirkte bei der Erstaufführung etwas betulich, fast zu klassisch für eine moderne Komposition. Allerdings hat man in Wien seither genug fragwürdige Inszenierungen gesehen, sodass man die hier besprochene mittlerweile sehr viel mehr schätzt als seinerzeit. Als Bühnenbild fungiert das Innere der Mailänder Scala aus verschiedenen Perspektiven: Im ersten Akt erlebt man den Blick von der Bühne ins Auditorium, was im zweiten Akt umgekehrt wird: Wenn zum Ende Ferdinand und Miranda aus einer Waldkulisse in einen Sonnenuntergang am Meer schreiten, kann man tatsächlich von Theatermagie sprechen. Der dritte Akt lässt zunächst hinter die Kulissen blicken, bis schließlich ein Längsschnitt von Bühne samt Unterboden, Graben und Auditorium gezeigt wird.

Prospero sieht man als tätowierten „Wilden“ und Theatermenschen – ein schöner Einfall, schließlich ist The Tempest das letzte vollständige Werk des Theatermagiers Shakespeare. Damit hat er quasi seine Feder beiseitegelegt, wie Prospero am Ende seine Zauberei aufgibt (nachzulesen im Programmheft). Weit mehr als dieser Rahmen beeindrucken aber die handwerklichen Details, etwa wenn der Zauberstab in Prosperos Hand zerfällt. Auch die Akrobatik (Ariel turnt an einem Kronleuchter) fasziniert ebenso wie das Ineinandergreifen von Licht- und Videoeffekten.

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Hiroshi Amako (Ferdinand) und Kate Lindsey (Miranda)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Als Prospero führte Adrian Eröd das Ensemble so sicher und entschlossen an, wie Prospero zunächst seine Entthronung als Herzog von Mailand durch seinen Bruder Antonio und den König von Neapel rächen will. Freudig überrascht bemerkte man, dass seine Gestaltung überzeugender als bei der Erstaufführung gelang. Demgegenüber gab es bei Toby Spence als besagter König schon einige Gebrauchsspuren an der Stimme, doch passt das zur Verzweiflung eines Gestrandeten, der seinen Sohn tot glaubt. Daniel Jenz gab einen schneidig-selbstbewussten Antonio, und auch Michael Arivony holte mehr aus der Partie des Königsbruders Sebastian, als man gemeinhin erwarten kann. Profund ergänzt wurden die adligen Herren von Wolfgang Bankl als Gonzalo. Hiroshi Amakos Ferdinand hätte man mehr Glanz gewünscht, doch hat man es neben der Strahl- und Stimmkraft von Kate Lindsey als Miranda zugegebenermaßen schwer. Die gemeinsame Szene der beiden war jedenfalls ein Höhepunkt des Abends.

Caroline Wettergreen (Ariel) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Caroline Wettergreen (Ariel)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Caroline Wettergreen tritt als Ariel in die sehr großen Fußstapfen von Ausnahmetalent Audrey Luna und man hofft, dass ihr Koloratursopran diese Tour de force unbeschadet übersteht. Jede, die sich über diese Partie traut, verdient uneingeschränkte Bewunderung. Als Caliban bewies Frédéric Antoun Stimm- wie Sprungkraft, und als komisches Duo Stefano/Trinculo gefielen Dan Paul Dumitrescu und der Countertenor James Laing.

Am Pult stand der Komponist selbst und hatte anscheinend einen Zauberstab dabei, denn trotz der Komplexität des Stücks gelang es ihm, dem Orchester (und dem Publikum) seine spezielle Klangauffassung des Stücks zu vermitteln.

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