Wie unzählige Orchester weltweit feierten auch die Berliner Philharmoniker in diesem Jahr den 200. Geburtstag von Anton Bruckner. Der Komponist nahm eine ganz bedeutende Stellung in den vergangenen Monaten ein. Viel Beachtung fand etwa die große Orchestertournee durch Europa und die USA mit der Fünften unter der Leitung des Chefdirigenten Kirill Petrenko oder auch die Aufführung der selten zu hörenden Frühwerke Studiensymphonie und Nullte Symphonie durch Christian Thielemann.

Loading image...
Herbert Blomstedt dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Monika Rittershaus

Kurz vor Jahresende fand der groß angelegte Bruckner-Fokus der Berliner Philharmoniker mit Herbert Blomstedt nun seinen Abschluss, welcher durchaus auch als Bruckner-Höhepunkt angesehen werden kann. Die Bruckner-Symphonien sind im romantischen Kernrepertoire der Philharmoniker verankert. Dass Blomstedt ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit dessen unvollendet gebliebene, letzte Symphonie Nr. 9 in d-Moll aufführte – jenes Werk welches der Komponist „dem lieben Gott” widmete – gab dieser Aufführung eine ganz besondere Signifikanz.

Der schwedisch-amerikanische Dirigent befindet sich mittlerweile im stolzen Alter von 97 Jahren und ist so aktiv wie lange nicht. Er scheint seinen musikalischen Zenit wohl nie zu überschreiten, sondern wird diesen lediglich festigen und weiter ausbauen. Denn wie so häufig in den vielen Jahrzehnten seiner Karriere bewies er sich auch am Pult der Berliner Philharmoniker als eine Art musikalische Instanz für den Aufbau und die Struktur der Symphonik Anton Bruckners. Blomstedt schwebte nicht in metaphysischen, pseudoreligiösen Klangsphären oder droht gar dem effektvollen, zu einer Oberflächlichkeit verleitendem, Bombast der Partitur zu verfallen. Er versteht und interpretiert den Komponisten Anton Bruckner seit jeher aus einer klassischen Tradition der Sonatensatzform eines Beethovens oder Mozart, und weniger als einen Vorreiter des 20. Jahrhunderts. So scheint es auch nur folgerichtig, dass der Dirigent dieser Neunten als musikalische Linie das d-Moll Klavierkonzert KV 466 von Wolfgang Amadeus Mozart voranstellte. Denn als eines der wenigen Werke Mozart steht auch dieses in Moll, gar in d-Moll, jener Tonart dieser nach göttlicher Erlösung suchenden, unvollendeten Neunten.

Loading image...
Leif Ove Andsnes
© Monika Rittershaus

Der Pianist Leif Ove Andsnes setzt sich seit Anbeginn seiner Karriere mit den Klavierwerken Mozarts auseinander, seine Einspielungen der Reihe Mozart Momentum 1785 erreichten gar Referenzstatus. Es klingt so logisch wie banal und doch hört man eine derartige Mozartinterpretation nur selten: Denn Andsnes und Blomstedt gleichermaßen wussten Mozart als Komponisten absolut ernst zu nehmen. Das schnörkellose, klangfarbenreiche, dabei zutiefst sensible Klavierspiel des Pianisten bette in eine mit äußerst reduzierten Verzierungen ausstaffierte, puristisch anmutende Orchesterbegleitung. Andsnes verdeutlichte, dass der Komponist in seiner Einfachheit zu höchstem Ausdruck gefunden hat. So bewahrte dieser Mozart selbst in den heiteren, lichten Momenten des Finalsatzes noch einen Hauch von Traurigkeit.

Leif Ove Andsnes und Herbert Blomstedt © Monika Rittershaus
Leif Ove Andsnes und Herbert Blomstedt
© Monika Rittershaus

Blomstedt gelang es mit Bruckners Neunter im besten Sinne, die Musik ganz aus der Partitur und so für sich selbst sprechen zu lassen. Durch lange, fließende Spannungsbögen entstand eine ganz natürliche, frische Klangatmosphäre. Die humanitäre Größe Bruckners im menschlichen Ringen um eine höhere Macht wurde spürbar, und doch webte der Dirigent all die religiöse Motivik der Partitur in ein erdendes Fundament. Mittels fein ausbalancierter Textur und einer behutsamen, zugleich bewusst einsetzenden Dramatik traf dieser Bruckner voll ins Herz. Eine spannungsvolle Bruckner-Interpretation, die doch ganz aus sich selbst entstand, aus einem gelösten, hochvirtuosem Spiel des Orchesters. Denn für so manch einen Dirigenten musizieren die Berliner Philharmoniker mit Respekt und Achtung, für Herbert Blomstedt hingegen – so sah man es in den glücklich erregten Gesichtern der Musiker*innen – spielten sie mit Liebe. So unaffektiert, wie tief berührend schloss Blomstedt das Adagio im Frieden und ließ ein vor Rührung sprachlos gewordenes Publikum in minutenlanger Stille vor dem Applaus zurück.

*****