Man kann es fast nicht glauben, aber es ist tatsächlich so: Sowohl die Sopranistin Diana Damrau als auch die Dirigentin Nathalie Stutzmann waren erstmals zu Gast beim Tonhalle-Orchester Zürich. Im Fall von Damrau, die auf den großen Bühnen der Welt als Starsopranistin gefeiert wird, lag die Einladung auf der Hand: Wohnt sie doch inzwischen in Zürich und ist seit dem laufenden Semester an der Zürcher Hochschule der Künste Hauptfachdozentin für Gesang. Stutzmann ist als Dirigentin eine Spätberufene. Nachdem sie im ersten Teil ihrer Karriere als Opern- und Liedsängerin gewirkt hatte, begann sie 2008 mit dem Dirigieren. Inzwischen hat sie sich in die oberste Etage der Dirigenten emporgearbeitet und ist seit zwei Jahren Musikdirektorin des Atlanta Symphony Orchestra. Die höheren Weihen in Europa empfing die Französin 2023, als sie an den Bayreuther Festspielen für eine Wiederaufnahme von Wagners Tannhäuser engagiert wurde.

Diana Damrau präsentierte sich in Zürich als Liedsängerin, wie sie denn ihren Schwerpunkt in Zukunft generell vermehrt auf das Konzertsingen verlegen will. Als Einstieg wählte sie eine Komposition, die wohl kaum jemand zuvor schon gehört hatte: nämlich einen Satz aus dem Konzert in f-Moll für Koloratursopran und Orchester von Reinhold Glière. Das Stück diente einfach dazu, die außerordentlichen Fähigkeiten der Sängerin in schönstem Licht erstrahlen zu lassen. Damrau trug die Vokalise ohne Text so bedeutsam vor, als würde sie eine Geschichte erzählen. Die höchsten Lagen meisterte sie mühelos, und in der Dynamik zeigte sie eine bewundernswerte Bandbreite.
Danach ging es nicht etwa mit ihren Lieblingen Mozart, Strauss oder Belcanto-Komponisten weiter, sondern mit einer Auswahl aus den Mélodies von Henri Duparc. Dabei bewies die vielseitige Sängerin, dass sie auch im ungewohnten Repertoire zu begeistern vermag. Die Mélodies sind ein typisch französisches Genre, weniger volksliedhaft ausgerichtet als das deutsche Lied, dafür von subjektivem und lyrischem Charakter geprägt. Chanson triste heißt eines der präsentierten Lieder; es handelt von Liebesschmerz in einer Mondnacht. Damrau verströmte Zärtlichkeit und Trauer in den erlesensten Abmischungen. Und das Orchester mit den hervortretenden Farben von Harfe und Hörnern verstärkte die romantische Stimmung nach Kräften. Als Zugabe sang die Sopranistin mit Morgen dann doch noch einen Richard Strauss.
Nathalie Stutzmann brachte mit der eröffnenden Tannhäuser-Ouvertüre die Grüße aus Bayreuth mit. Das Tonhalle-Orchester ließ sich von der Wagner-Erfahrung der Dirigentin offenkundig anstecken und legte eine brillante Interpretation hin. Stutzmann schälte die beiden kontrastierenden Schichten der Ouvertüre, die auf das Grundthema des Tannhäusers verweisen, mit aller Deutlichkeit heraus. Ebenso eindrücklich war, wie sie neben den Hauptstimmen auch die Nebenstimmen mit viel Aufmerksamkeit bedachte.
Auch bei der abschließenden Symphonie Nr. 5 in e-Moll von Tschaikowsky war die Dirigentin in ihrem Element. Von der Dirigiertechnik her hatte sie ihre Musikerinnen und Musiker voll im Griff, und mit ihrer Emotionalität steuerte sie das Orchester stets dahin, wo sie es haben wollte. Zeitweilig vergaß man gar, dass man es an diesem Abend „nur“ mit einer Gastdirigentin zu tun hatte. Wie schon bei der Ouvertüre kam nun auch bei dieser Symphonie eine souveräne Führung im Großformalen hinzu.
Diese zeigte sich beispielsweise darin, wie die Dirigentin das berühmte Schicksalsmotiv in jedem Satz anders auf den instrumentalen Verlauf einwirken ließ. Zweitens gestaltete sie die ganze Symphonie als dramatischen Verlauf, indem sie die Kräfte innerhalb der Sätze ständig entfesselte und dann wieder drosselte. Zum großformalen Überblick gehörte auch, dass Stutzmann den dritten Satz, die Valse, als leichtfüßiges Erholungsstück à la Mendelssohn nahm, um dann das Finale, bei dem das Schicksalsmotiv als großspuriges Dur-Thema erscheint, als blendenden Triumph zu feiern. Die Chemie zwischen der Dirigentin und dem Orchester schien absolut zu stimmen, denn die Musiker überboten sich in den Soli und in den Ensembles mit Höchstleistungen. Standing Ovations des Publikums, nicht alltäglich in der Tonhalle, waren die Folge.