Der Name „Auferstehungssymphonie“ stammt nicht von Mahler. Wenn jedoch der Chor zwei Minuten vor Schluss des eineinhalbstündigen Werks die Worte „Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du, mein Herz, in einem Nu!“ im dreifachen Forte herausschleudert, begreift wohl jeder Hörer, um was es in dieser monumentalen fünfsätzigen Symphonie geht. Tod und Auferstehung ist das Thema, vergegenwärtigt im ersten Satz, den der Komponist ursprünglich als „Totenfeier“ bezeichnete, und eben in diesem gewaltigen Finale, bei dem neben Chor und Orchester auch zwei Solistinnen mitwirken.

Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich setzen ihre Einspielung aller Symphonien Gustav Mahlers fort: Nach der Ersten, Fünften und Siebten ist nun die Zweite dran. In drei Konzerten in der Tonhalle Zürich wird diese als Live-Aufnahme produziert und erscheint nächstes Jahr beim Label Alpha Classics. Mit von der Partie sind bei der „Auferstehungssymphonie“ die Zürcher Singakademie sowie die Mezzosopranistin Anna Lucia Richter und die Sopranistin Mari Eriksmoen.
Richtigerweise setzt Järvi interpretatorisch die beiden Ecksätze zueinander in Beziehung. Wie man es von ihm kennt, nutzt er das große Instrumentarium gerne für starke dynamische Höhepunkte, wobei er in diesem Fall besonders die Perkussionsinstrumente als Schlagwerke im wahrsten Sinn des Wortes einsetzt. Dagegen ist nichts einzuwenden, hingegen gelingt die Abstufung der Höhepunkte nicht immer einleuchtend. Richtig ist die Zurücknahme der Lautstärke in den Sätzen zwei, drei und vier, was diesen einen grundsätzlich anderen Charakter verleiht.
Die zentrale Qualität von Järvis Interpretation, die sich bereits im ersten Satz zeigt, ist die Darstellung des steten Anlaufnehmens, Aufbäumens, Scheiterns und Versinkens. Mahlers Kunst des Ankündigens von etwas, das dann gar nicht kommt, wird bei dieser Aufführung zum prägenden Erlebnis. Überspitzt formuliert: die ganze Symphonie bis zum ersten Einsatz des Chores im Finale wird als Einleitung wahrgenommen, deren Einlösung tatsächlich erst in der zweitletzten Minute geschieht. Das Tonhalle-Orchester folgt seinem Chefdirigenten auf jeden Wink. Die Streicher agieren mit sensationeller Präzision und Homogenität, die Holzbläser beeindrucken mit gekonnten Soli, die Perkussionisten geben ihr Letztes, nur beim Blech muss eine Einschränkung gemacht werden. Während die apokalyptischen Stellen selbstredend starke Eindrücke hinterlassen, geraten die leisen Passagen oft zu vordergründig und zu wenig geheimnisvoll.
Die Menuett-Teile des zweiten Satzes erklingen erstaunlich wienerisch, was man dem Esten Järvi vielleicht gar nicht zutrauen würde. Das Scherzo, eine erweiterte instrumentale Transkription des Wunderhorn-Liedes Des Antonius zu Padua Fischpredigt, ist in den Liedstrophen mit der nötigen Ironie und Hinterhältigkeit gespickt, und in den neu komponierten Zwischenteilen fehlt es nicht an bedrohlichen Klängen. Wenn dann nach einer Dreiviertelstunde Anna Lucia Richter zu ihrem Solo O Röschen rot ansetzt, kommt erstmals die vokale Dimension ins Spiel. Die Mezzosopranistin singt das Lied, ebenfalls aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn, mit der gebührenden Schlichtheit und Naivität. Dass sie auch anders kann, zeigt sie zusammen mit Mari Eriksmoen im Finale, wo die Sopranistin und die Mezzosopranistin in leidenschaftlichem Dialog miteinander duettieren.
In der instrumentalen Einleitung des Schlusssatzes bietet Järvi ein Maximum an Spannung, die einerseits durch die Fanfaren des im Nebenraum aufgestellten Fernorchesters, andererseits durch das allmählich entstehende Auferstehungs-Thema hervorgerufen wird. Wenn schließlich der Chor mit seinem im dreifachen Piano geraunten „Aufersteh’n“ einsetzt, ergreift einen der metaphysische Schauer. Die von Florian Helgath einstudierte Zürcher Sing-Akademie, mit etwa sechzig Sängerinnen und Sängern angetreten, zeigt sich einmal mehr als wandlungsfähiger, stimmlich potenter und im Ausdruck überwältigender Klangkörper. Die Schlusszeile des Klopstock-Textes „Zu Gott wird es dich tragen“ beantwortet das Orchester mit einer finalen Klangorgie in Es-Dur unter Beizug von Orgel und Glockengeläute.

