Vor fast genau zwei Jahren konnten sich Opernnostalgiker*innen über die gelungene Wiederaufnahme von Fidelio an der Wiener Staatsoper freuen, doch ist die Freude ist nicht nachhaltig: Einerseits beweist ein Blick auf die Nachrichten der letzten Wochen, dass dem Werk mehr Aktualität innewohnt, als einem lieb sein kann, andererseits bleibt die nunmehrige Aufführungsserie musikalisch unter den Erwartungen.

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Florina Ilie (Marzelline), Georg Zeppenfeld (Rocco) und Daniel Jenz (Jaquino)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Bereits die szenische Eröffnung des Abends durch Florina Ilie als Marzelline war nicht gerade vielversprechend. Ilies Stimme weist ein schnelles Vibrato auf und wird in der Höhe eng, was so gar nicht zu dieser selbstbewussten Frau passt, die den in sie verliebten Jaquino in die Schranken weist. Als letzterer machte allerdings Daniel Jenz gute Figur, auch wenn Jaquino nicht unbedingt ein Sympathieträger ist. Als Mann „ältere Rechte“ (oder überhaupt Rechte) an einer Frau geltend zu machen, ist von vorvorgestern und war noch nie eine Erfolgsstrategie für Liebesglück, doch punktete Jenz mit Humor und schaffte es, diesem Verlierertyp zumindest gesangliche Würde zu verleihen.

Michael Spyres (Florestan) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Michael Spyres (Florestan)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Als Kerkermeister Rocco intonierte Georg Zeppenfeld zwar so nobel wie immer, jedoch mit gefühlt der halben Lautstärke, die man von ihm gewohnt ist – im Finale war leider nicht mehr viel von ihm zu hören. Dennoch gefiel jene Szene, in der Don Pizzarro seine Mordabsicht an Florestan kundtut, und sich Roccos innere Wandlung von der Ablehnung des Vorhabens hin zum Beitragstäter glaubhaft vollzog.

Sein Gegenüber war dabei Tomasz Konieczny, der mit seiner Stimmgewalt wie ein Tornado durch das beschaulich-beige Gefängnis fegte. „Ha, welch ein Augenblick!“ war daher auch der Höhepunkt des Abends, und man wunderte sich fast, dass dieser Rachesturm in den Kulissen der in Ehren gealterten Inszenierung des kürzlich verstorbenen Regie-Grandseigneur Otto Schenk keinen Staub aufwirbelte. Mit der sich öffnenden Zugbrücke im Schlussakt und Florestans rasselnden Kerkerketten ist diese Regiearbeit zwar immer noch ansehnlich, doch gibt es bestimmt kreativere Lösung für die Merkwürdigkeiten dieses Werks, etwa das berühmte „Mir ist so wunderbar“, das im ersten Aufzug geradezu zusammenhanglos vom Himmel fällt.

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Simone Schneider (Leonore) und Michael Spyres (Florestan)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Michael Spyres hat seine Karriere als Belcanto-Haudegen begonnen und reüssiert mittlerweile im deutschen Fach, wobei insbesondere sein Palestrina unter der Leitung von Christian Thielemann ein Genuss war. Er zeigt auch Kompetenz als Florestan, doch müht er sich mit „In des Lebens Frühlingstagen“ leider auch nicht weniger als andere Tenöre – die vokale Kletterpartie „ins himmlische Reich“ hat Beethoven leider höllisch komponiert. Besonders berührend und schönstimmig gelang jedoch seine Einleitung zum Terzett „Euch werde Lohn in bessern Welten“.

Neben Florestan und Rocco steuert Simone Schneider als Leonore/Fidelio die dritte Stimme in der Finsternis des Kerkers bei. Da sie im ersten Aufzug ihre Sprechstimme recht tief gelegt hatte (was die Hosenrolle des Fidelio etwas glaubwürdiger als sonst machte), geriet die Entwicklung in die Höhen der Leonore umso spannender, auch wenn Schneiders Stimme mehr Drama als Helligkeit ins Dunkel bringt. Puristen mit Anspruch auf Wortdeutlichkeit wird das nicht unbedingt freuen, aber wer dem gedanklichen Spagat von Brünnhilde zu Leonore nicht abgeneigt ist, wird zufrieden sein, und bekanntermaßen haben sich an dieser Partie schon ganz andere Kaliber die sprichwörtlichen Zähne ausgebissen.

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Tomasz Konieczny (Don Pizarro) und Peter Kellner (Don Fernando)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Dem Finale mit dem durchwegs engagiert singenden Chor verlieh der sonor-souveräne Auftritt von Peter Kellner noch etwas von dem Glanz, der diesem Abend in vielerlei Hinsicht fehlte, zumal die Orchesterleistung nur mittelmäßig war. Bei der Wiederaufnahme noch sehr gelobt, kann man mutmaßen, dass Dirigent Axel Kober diesmal etliche Orchester-Substitut*innen vor sich gehabt haben muss – dass es bei den Bläsern häufig ein, zwei Nachzügler bei den Einsätzen gab, deutet ebenso darauf hin wie zu viele Holprigkeiten insgesamt. Sehr erfreulich gelang immerhin die Leonoren-Ouvertüre, die in Wien zu Fidelio dazugehört und immer ein Höhepunkt ist. 

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