Es geht um Zerstörung der Natur, Kolonialismus, Ausbeutung eines indigenen Volks und Sexismus. Die Oper Das große Feuer trifft zweifellos den Nerv unserer Zeit. Der in der Schweiz geborene und in Österreich lebende Komponist und Dirigent Beat Furrer hat sie im Auftrag des Opernhauses Zürich komponiert und daselbst uraufgeführt. Das Libretto stammt von Thomas Stangl, das seinerseits auf dem Roman Eisejuaz der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo fußt.
Hauptfigur des Stücks ist Eisejuaz, ein indigener Stammesführer und Mitarbeiter in einem Sägewerk, das den Regenwald abholzt. Als Sohn eines Schamanen verfügt er über einen direkten Draht zu den Kräften der Natur. Als Schüler einer Missionsstation ist ihm aber auch der christliche Gott, der ihm aufträgt, ein Werk der Nächstenliebe zu vollbringen, kein Unbekannter. Eisejuaz‘ Gegenspieler ist Paqui, ein weißer Rassist, Krimineller, Frauenverächter und Verräter. Ausgerechnet an dem will Eisejuaz den Auftrag der Nächstenliebe realisieren und gerät dabei in einen unlösbaren Widerspruch. Auch bei den Frauenrollen gibt es ein kontrastierendes Paar: Da ist zum einen Mauricia, die in Eisejuaz verliebt ist und ihn wieder in die Missionsstation zurückholen will, zum andern Muchacha, eine junge indigene Frau, die von ihrem Vater zur Prostitution gezwungen wird und die am Schluss zu Eisejuaz‘ potenzieller Retterin wird.
Mit dem Erzählen der Handlung wird man dieser Oper indes nicht gerecht. Denn der Inhalt vollzieht sich mindestens so sehr im Musikalischen wie im Visuellen. Das Einzigartige der Partitur von Das große Feuer liegt in der Bedeutung des Chores. Den vier Protagonisten steht ein zwölfköpfiger Chor gegenüber, der ganz unterschiedliche Funktionen übernimmt. Einerseits mimt er die mittleren und kleinen Rollen des Stücks, andererseits fungiert er als Sprachrohr von Eisejuaz‘ Bewusstsein, als Stimmen der von ihm erlauschten Natur und als Kollektiv.

Kompositorisch ist der Chorpart mit einer von aus der Obertonreihe abgeleiteten Mikrotonalität ausgestattet und zaubert geheimnisvolle, suggestive und im wahrsten Sinn unerhörte Klangbilder hervor. Für die Realisierung dieser schwierigen Aufgabe hat man deshalb das professionelle Vokalensemble Cantando Admont aus Graz (Einstudierung: Cordula Bürgi) engagiert, das diese Herausforderung in bewundernswerter Art löst.
Die Solostimmen decken kompositorisch vorwiegend den Bereich zwischen Sprechen, Sprechgesang und sprachorientierter Deklamation ab. Mit dem britischen Bariton Leigh Melrose konnte für die Hauptrolle ein mit der zeitgenössischen Musik bestens vertrauter Sänger gewonnen werden. Die Zerrissenheit des Eisejuaz zwischen der schamanischen und der christlichen Welt, zwischen Sendungsbewusstsein und Leiden an einer ausbeuterischen Gesellschaft realisiert Melrose mit beeindruckender Stimm- und Ausdrucksgewalt.
Nicht ganz auf dem gleichen Niveau agiert der Paqui von Andrew Moore, der den Bösewicht etwas zu harmlos gibt. Große Klasse ist die französische Sopranistin Sarah Aristidou, die den Part der Muchacha – die einzige Solorolle, die mit einem Melos ausgestattet ist – zu einer Lichtgestalt werden lässt. Ruben Drole gibt den Schamanen Ayó als leicht ironisch gezeichneten Sonderling. Und Elina Viluma-Helling von Cantando Admont zeichnet Mauricia wohltuend als differenzierten Charakter: als verschmähte Liebende, die sich an Eisejuaz rächt, indem sie ausgerechnet Paqui anbaggert.
Für das Orchester sieht Furrer eine gängige symphonische Besetzung vor, angereichert mit etlichem Schlagzeug, Klavier und Akkordeon. Der Orchesterpart läuft einerseits parallel mit den Chorstimmen, ist also quasi deren Verlängerung, liefert aber andererseits einen Kontrast, wenn beispielsweise die Cluster des Chors mit filigranen Figuren der Instrumente kombiniert werden. Furrers Musiksprache hat ihre Wurzeln in der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, klingt jedoch erstaunlich wenig widerborstig. Der Komponist ist ein Meister der leisen Klänge, aber wenn er dann einmal aufdrehen lässt, erzielt er damit große Wirkung. Und das Verblüffendste: das melodische Element im herkömmlichen Sinn kommt kaum vor. Als Dirigent zeigt Furrer, im Unterschied zu vielen anderen Komponisten, eine glückliche Hand und führt die Philharmonia Zürich sicher durch das Gewebe der Partitur.
In der Inszenierung zeigt sich die Zürcher Produktion abstrakt und, um es vornehm zu sagen, sehr zurückhaltend. Tatjana Gürbaca, die wegen zeitweiliger Erkrankung von Vivien Hohnholz unterstützt wurde, vermeidet alles, was andere Regisseure wohl genussvoll ausschlachten würden. Der geschlossene Bühnenraum von Henrik Ahr ist mit Drehbühne und halbkreisförmigem Laufsteg nüchtern-funktional eingerichtet. Die vielen stehenden und hängenden Stangen können mit etwas Fantasie als Bäume interpretiert werden. Silke Willrett steckt die Sänger und Statisten in unauffällige Kleidung. Wenn einmal Eisejuaz mit roter und Paqui mit weißer Krone aus Pappe einander gegenüberstehen, ist schon das Maximum an Deutung erreicht.
Gürbaca stellt Das große Feuer nicht als politisch-moralisches Manifest dar. Kein demonstratives Anprangern des Kolonialismus also, kein moralischer Fingerzeig auf die von den Weißen verschuldete Zerstörung der Natur. Auch nichts Folkloristisches. Man kann eine solche Position als klug bezeichnen. Diese neutrale Haltung vergibt aber auch die Chance einer expliziten Deutung, was ja die vornehmste Aufgabe einer Regie wäre.