Was ist das Wesen einer Symphonie? Gustav Mahler hat in seinen neun einschlägigen Werken jedes Mal eine andere Antwort gesucht. Und zwar sowohl auf der formalen wie auf der gehaltlichen Ebene. Die Grundidee seiner Siebten Symphonie in e-Moll ist in den beiden Nachtmusiken zu suchen. Diese zwei Sätze hat Mahler 1904 als erste komponiert. Nach einer längeren Blockade erfolgte die Fertigstellung der übrigen drei Sätze erst ein Jahr später. In der Endfassung stehen die Nachtmusiken an zweiter und vierter Stelle, verbunden durch ein Scherzo mit der Überschrift Schattenhaft. Anfang und Ende der Symphonie bilden zwei monumentale Sätze, die man als Kampf und Sieg charakterisieren kann. Als formale und gedankliche Idee lässt sich die Darstellung des Menschseins im Spannungsfeld zwischen Nacht und Tag, zwischen einer traumhaften, manchmal unheimlichen Schattenwelt und einer zu Entscheidungen zwingenden Realität erkennen.

Im Rahmen eines entstehenden Mahler-Zyklus, der später auch bei Alpha Classics erscheinen wird, hat das Tonhalle-Orchester Zürich nun, nach der Fünften, die Siebte vorgestellt. Wie die Interpretation der Tagsphäre verlaufen würde, deutete Chefdirigent Paavo Järvi bereits im Kopfsatz an. Schonungslos legte er all die Widersprüche des Satzes frei und zeigte eine Welt, in der man nicht gerne leben möchte. Man spürte, um mit einem Wort Mahlers zu sprechen, buchstäblich die Zerrissenheit der Welt, das „Weltgetümmel“. Vor allem die Blechbläser und das stark besetzte Schlagzeug setzten wuchtige Akzente. Eine Fluchtmöglichkeit ermöglichte der Dirigent in der Mitte der Durchführung, wo die Musik eine Weile wie in Trance fast stillsteht.
Im Rondo-Finale gab Järvi die Antwort auf den ersten Satz. Die Widerwärtigkeiten der Welt sollten nun überwunden werden. In den Hauptteilen des Rondos, in denen Mahler auf das Hauptthema von Wagners Meistersinger-Ouvertüre anspielt, sparte der Dirigent nicht mit Glanz und sieghaftem Gepräge. Damit das nicht allzu penetrant wirkte, setzte er in den Zwischenteilen Kontraste der leichteren Art. Das bei gewissen Dirigenten zu beobachtende Ansinnen, den Schlusssatz als eine ins Negative kippende Parodie aufzufassen, war nicht Järvis Absicht. Mahlers Idee „Durch Nacht zum Licht“, die in der Zweiten Symphonie religiöse Züge trägt, ist in der Siebten in einem profanen Sinn verwirklicht. Das Licht leuchtete in der Interpretation des phänomenal aufspielenden Tonhalle-Orchesters gleißend hell.
Und die Nachtsphäre? Hier muss zum bisherigen Lob eine Einschränkung gemacht werden. Die drei Mittelsätze müssten noch deutlicher in ein Dämmerlicht getaucht sein. Denn nur so können sie eine wirkungsvolle Gegenwelt zu den Ecksätzen bilden. Die Lautstärke müsste also noch weiter zurückgefahren werden. Der Dialog zwischen den beiden Hörnern zu Beginn der ersten Nachtmusik (des zweiten Satzes) – bei dem Mahler an eine Stelle aus Berlioz‘ Symphonie fantastique anspielt – geriet eindeutig zu laut, zu vordergründig. Was bei Järvis Interpretation aber sehr raffiniert zur Geltung kam, war die Betonung der unheimlichen, grotesken und melancholischen Aspekte des Satzes. Besonders die Holzbläser steuerten da die ausgefallensten Klangfarben bei.
Im Scherzo spinnt Mahler die Nachtgedanken des vorausgehenden Satzes weiter. Die Interpretation bestach hier durch rhythmische Präzision und in der Demontage einer in den Streichern mehrmals auftauchenden Walzermelodie durch die übrigen Orchesterinstrumente. Die zweite Nachtmusik (der vierte Satz) bildet einen starken Kontrast zur ersten. Hier bringt Mahler die idyllischen Züge der Nacht, die er bisher ausgespart hat, doch noch zum Erscheinen. Entsprechend ließ Järvi das Orchester in geradezu kammermusikalischer Art musizieren. Sehr schön kamen die Solovioline und das Solohorn zur Geltung, während die Gitarre, die Mandoline und die Harfe etwas untergingen. Aber so oder so bereitete der verströmte Serenadenzauber höchst wirkungsvoll auf den totalen Stimmungsumschwung im Finale vor. Die Siegeshymne wurde dann mit einem forcierten Paukensolo eingeleitet.