„Ich kann der Typ sein, der in einem Restaurant sitzt und 20 Minuten lang bestellen will, ohne dass die Kellner mich bemerken. Ich bin die unsichtbarste Person. Aber aus irgendeinem Grund, und ich sage das in aller Bescheidenheit, wenn ich vor einem Orchester stehe und möchte, dass 100 unglaubliche Profis etwas, das sie sehr gut kennen, auf eine bestimmte Art und Weise spielen, dann tun sie es für mich. Ich weiß nicht, warum.“ Dieses Zitat stammt von Daniel Harding, Chefdirigent in Schweden und ab nächstem Jahr auch in Italien, der im letzten Monat auch noch offiziell eine Anstellung als Pilot bei der Air France bekam.

Daniel Harding
© Julian Hargreaves

Harding ist im Amsterdamer Concertgebouw ein gern gesehener Gastdirigent. Dieses Mal brachte er das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit, dessen früherer Chef Mariss Jansons lange Jahre gleichzeitig auch Chef des Concertgebouw Orchesters war. In München wird gleich nach dem Sommer Sir Simon Rattle als künstlerischen Leiter beginnen, und auch die Amsterdamer Musiker haben sich für die Zukunft auf den jungen Klaus Mäkelä festgelegt.

Mahlers Siebte Symphonie wird oft als das am wenigsten populäre Werk des Komponisten bezeichnet, mit dem selbst eingefleischte Fans ihre Probleme haben. Es ist mit seinen zwei Nachtstücken, seinem Sarkasmus und dem krawalligen Spektakel des letzten Satzes sicher eines der außergewöhnlichsten Musikstücke, die Mahler geschrieben hat.

Die beiden Nachtmusik-Sätze  wurden im Sommer 1904 unmittelbar nach der Fertigstellung der Sechsten Symphonie geschrieben. Die Siebte ist also schon im Konzept eine Symphonie über die Nacht: der zweite Satz könnte ein geselliges Abendmahl beschreiben, wobei sich Wiener Seligkeit in Dur und Moll verwirrend schnell abwechseln. Die Ländlermelodien werden immer wieder (durch laute Gesprächsfetzen mit Freunden?) unterbrochen. Es folgt ein Almspaziergang in der Dämmerung; man hört Kuhglocken erst leise aus der Ferne (delikat und fast unhörbar hinter der Bühne gespielt), die im Trio immer lauter werden, bevor die Dunkelheit einsetzt mit geisterhaften zweiten Geigen im Ponticello.

Der vierte Satz beginnt mit einem schmerzhaft sehnsüchtigem Aufschrei der Sologeige und leitet im darauf folgenden herrlichen Oboensolo eine stürmisch auf und ab ebbende Liebesnacht ein. Harding dirigierte hier minutenlang mit einer Hand auf dem Gitter des Dirigentenpultes hinter ihm gelehnt, als wollte er nur vorsichtig und aus sicherem Abstand das intime Musizieren in beherrschte Bahnen leiten.

Die Sätze 1, 3 und 5 komponierte Mahler erst ein Jahr später. Aber auch hier überzeugt die wunderbare Orchestrierung, die die Instrumente oft in ungewöhnliche Gruppierungen zerlegt. Der erste Satz, Langsam-Allegro risoluto, begann mit einem fulminanten, kräftig-maskulin geblasenem Tenorhornsolo. Dessen Melodie beherrscht den ganzen Satz und wird von fast allen Instrumenten übernommen. Kurz vor der Coda übernahm dieses Thema die klangstarke Kontrabassgruppe des BRSO, die in der Wiener Orchesteraufstellung links auf dem Podium hinter den Celli stand. Der haarfein aufeinander abgestimmte Übergang und die Fortführung der Melodie wie aus einem Guss gehörten für mich mit zu dem Schönsten, was dieses Weltklasseorchester an diesem Abend zu bieten hatte.

Das Scherzo nahm Harding schnell und schwungvoll. Er steuerte die Masse seiner Musiker mit Kraft und Präzision in diesem surrealistischen Klanggemälde mit Anteilen aus Untergang der Titanic, Tanz auf dem Vulkan und entfesseltem Hexensabbat. Der Satz wirkte in diesem virtuosen Tempo wie eine Parodie, worin alles bruchstückhaft gejagt durcheinanderschoss bis am Ende ein einzelnes klagendes Fagott mit einem einzigen kräftigen Paukenschlag mundtot gemacht wurde.

Im abschließenden langen Rondo Finale entwickelte sich aus dem Paukenbeginn die Ankündigung eines neuen Tages. Das BRSO glänzte mit ganz neuer Farbpalette. Das scharf angestoßene Blech, liedhaft klare Holzbläser und klar ausdifferenzierte Streicherkorpus zauberten in beeindruckend generöser dynamischer Bandbreite eine Collage aus schillernden musikalischen Erinnerungsfetzen. Harding nahm Schönbergs modernes Orchesterfarbenspiel vorweg und beendete diese Siebte Symphonie mit fulminant scheppernden Röhrenglocken in energiegeladener Feierlichkeit.

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