Zwei Harfen beschwören in verschwenderischen Arpeggios die uralte Liedkunst des mystischen Barden Lumir, bevor Vysehrad, der Prager Burgfelsen, in das Blickfeld des Betrachters rückt. Bereits der erste Satz des sechsteiligen Vaterlandszyklus‘ von Bedřich Smetana deutete die dramatisch-poetische Dichte des symphonischen Nationalepos an, den die Münchner Philharmoniker gemeinsam mit Dirigent Semyon Bychkov auf die Bühne der Münchner Philharmonie brachten. Bychkov ist gern gesehener Gast am Pult der Philharmoniker und die Programmauswahl war insofern keine Überraschung, da Bychkov seit dieser Saison nicht nur der neue Chef der Tschechischen Philharmonie ist, sondern auch Smetanas Zyklus Mein Vaterland in dieser Saison mit einigen Orchestern aufs Programm gesetzt hat – unter anderem mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester im gleichnamigen Hambuger Musiktempel.

Da überraschte es wenig, dass Bychkov die sechs sinfonischen Dichtungen mit präziser Routine durcharbeitete und jeden einzelnen Satz mit dramatischer Prägnanz füllte. Langsam entfaltete sich der erste Satz, den Bychkov von ruhiger Harfenlyrik zu einem deftigen Ritterepos entwickelte und dabei mit orchestraler Urkraft agierte, die bereits klarstellte, dass Bychkov mehr an der dramatischen Zuspitzung als an schlanker Erzählform interessiert war.

Deutlich differenzierter und agiler durfte im zweiten Satz die Moldau sprudeln, die mit vollmundigem Klang abseits jeglichen Evergreen-Verdachts wunderbar differenziert und in großen Bögen durch die Philharmonie floss. Immer wieder setzten sich die Holzbläser scharf vom Gesamtklang ab und gaben dem Satz seine individuelle Kontur.

Überhaupt waren es die Landschaftseindrücke, wie die Moldau oder der vierte Satz Aus Böhmens Hain und Flur, die den Philharmonikern besonders stark gelangen. Die düster-dramatischen Motive des Beginns kontrastierte Bychkov sehr spannend mit den leichten, fröhlichen Naturimpressionen des Mittelteils, die sich als lockere, erdige Tanzvergnügen gerierten.

Bereits vor den böhmischen Landschaftsbildern entführt die dritte sinfonische Dichtung in die böhmische Sagenwelt und greift die Sage von der Amazone Sarka auf, die in einer Nacht und Nebel Aktion versucht, sich am männlichen Geschlecht zu rächen. Mit Šárka deuten sich schon die beiden abschließenden Dichtungen Tábor und Blaník an, die ebenfalls kriegerische Motive bedienen und von Smetana erst drei Jahre nach Abschluss der ersten vier sinfonischen Dichtungen komponiert wurden. Den dramatischen Höhepunkt erreichten die Philharmoniker bereits im Finale der dritten Dichtung, in der es Bychkov gelang, die dramatische Schärfe der Musik zu konzentrieren und ungefiltert wirken zu lassen.

Tábor und Blaník erzählen die Geschichte der Hussiten in Böhmen, als stählernes Säbelrasseln mit Bläserchoral und abschließender Jubelapotheose. Vielleicht liegt es an der schmaleren Farbigkeit der beiden abschließenden Sätze, wirklich viel wusste Bychkov mit den Dichtungen allerdings nicht anzufangen. Vor allem Tábor versackte in seinem sakralen und recht behäbigen Duktus.

Unter dem Strich gestaltete sich Bychkovs Interpretation des sinfonischen Zyklus als feine Reihung von Klangbildern. Ein übergeordnetes Narrativ aber schaffte Bychkov mit den Philharmonikern nicht. Jede einzelne sinfonische Dichtung arbeitete er mit eigenem Charakter aus, die letzte Konsequenz, die den Zuhörer auf eine große Reise durch die Geschichte einer stolzen Nation, die lange Zeit keine Nation sein durfte, mitgenommen hätte, blieb allerdings aus. So waren es schließlich einzelne Schlaglichter, die die Interpretation interessant machten - die unendlichen, melodischen Linien der Moldau oder die dramatische Prägnanz in Šárka, die dem Werk seine Farbigkeit verliehen.

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