Nach der Premiere von Richard Wagners Rheingold 2019 am Landestheater Coburg hatte man für 2022 dort eigentlich schon die Götterdämmerung avisiert. Aber wie an so vielen Orten wirbelte die Pandemie die Spielpläne gründlich durcheinander, und so konnte beim entstehenden Coburger Ring des Nibelungen im Frühjahr 2022 endlich die neue Walküre gefeiert werden, trotz widriger Probenbedingungen, bei denen immer wieder Ausfälle in Folge von Infektionen verkraftet werden mussten.
Mit dem jungen, in Australien geborenen Daniel Carter hatte – nach Stationen an Opernhäusern in Hamburg, Berlin und Freiburg – inzwischen ein neuer Generalmusikdirektor die musikalische Leitung des Coburger Opernbetriebs übernommen; in einem Ravel-Doppelabend, Strawinskys The Rake's Progress sowie der Walküre zeigte er bereits individuelles Profil und seinen Faible für kantige Werke im Repertoire der oberfränkischen Bühne.

Dass im 1840 eröffneten klassizistischen Theatergebäude für etwa 500 Zuhörer nicht die gleiche Zahl von Musikern im Orchestergraben Platz findet wie in Bayreuth, hat schon früher zu Anpassungen der Orchestergröße geführt. Carter hat sich für die bereits 1930 vom damaligen Coburger Kapellmeister Gotthold Ephraim Lessing erstellte Fassung entschieden, die neben reduzierten Streichern je drei Hörner- und Holzbläser-Pulte an Stelle von vier vorsieht. Im räumlich vergleichsweise tief versenkten Graben gestaltete Carter mit seinen Musikern einen klanglich edlen, mit kammermusikalischer Differenziertheit leuchtenden Orchesterklang, der in geradezu überraschender Durchhörbarkeit und farbintensiver Delikatesse, bei gleichzeitig dramatischer Kraft und enormer Vitalität beeindruckte. Wundervolle Soli gelangen zum Beispiel in den Celli oder mit der Bassklarinette, insgesamt auch blühender Klang der oft geforderten Blechfraktion, energisch pulsierende Rhythmik der Streicher schon in der Einleitung. So wurde auch Wagners Intention bewundernswert Realität, Sänger gerade zu Beginn längerer Phrasen nicht zu übertönen und zum Forcieren zu zwingen; besonders in den ersten beiden Akten bei zudem eher langsamen Tempi funktionierte solche Klangmischung optimal an Stelle von purem Kräftemessen, wie es an anderen Häusern manchmal erlebbar ist.
Wirkte im Rheingold der verknotete Handlungsbogen zeitweise etwas zerfasert und in der Personenregie unscharf, gelang Alexander Müller-Elmau, für Inszenierung ebenso wie das Bühnenbild verantwortlich, nun vor allem in den großen Zwiegesprächen eine intensive Fokussierung auf Gedanken und Motive der Figuren und ihre wechselseitigen Spannungsfelder. Die auf einer anderen Zeitachse lebenden, wandelnden oder fast teilnahmslos auf der Bühne sitzenden Beobachter bringen – wie schon im Rheingold – keine wirkliche Erkenntnis in das Spiel. Dass die Bühne mit nur wenigen Utensilien möbliert ist, ruhige mythisch-symbolträchtigen Bilder zeigt, trägt zur Verstärkung der Konzentration bei.
Hochspannung stellte sich bereits im ersten Akt ein: die griechisch-amerikanische Sopranistin Jessica Stavros als Sieglinde und der Siegmund des Roman Payer, als ehemaliges Ensemblemitglied gern gehörter Gast in Coburg, sind ein hinreißendes Wälsungen-Paar, das in jeder Phase seines ängstlich-neugierigen Kennenlernens bis hin zum überbordenden Moment inzestuöser Liebe so rauschhaft wie glaubwürdig bleibt. Stavros begeisterte mit einer stimmlich kräftigen und zugleich lyrisch schillernden sowie schlank fokussierten Sieglinde; Payer betonte in seinem Stimmeinsatz weniger das Heldenhafte des für Schicksal empfundenen Auftrags als die trotz Krafteinsatz reiche Nuancierung des Sehnens seiner Seele. Beeindruckend gerade deshalb die lang gehaltenen intensiven Wälse-Rufe seines Monologs. Den grimmigen Hunding sang Bartosz Araszkiewicz mit markant melodiösem Bassbariton.
Michael Lion stattete Wotan mit Machtbewusstsein und Autorität aus, sein weit wallend nobler Zobel-Mantel (Julia Kaschlinski) hob sich deutlich von den unauffälligeren, keiner Zeit zuzuordnenden Kostümen der übrigen Solisten ab. Lions stimmlicher Auftritt war beeindruckend, da er edle Basstiefen und reichlich geforderte Baritonhöhen seiner Göttervaterrolle souverän meisterte. Im zweiten Akt wurde sein Disput eher ein Verhör durch seine Gattin Fricka, die kaltherzig berechnend Wotans Pläne zur Rettung von Siegmund und darüberhinaus der Wiedererlangung des Macht verleihenden Rings, wegen des Verstoßes beim Inzest gegen Wotans eigenes Gesetz, vom Tisch wischte. Kora Pavelić gestaltete diese Fricka geradezu liedhaft klar, mit großer Emotion und Dynamik.
Im zweiten Zwiegesang des Akts mit seiner Lieblingstochter Brünnhilde läuft es nicht besser: seinem Befehl, Siegmund im Kampf gegen Sieglindes Ehemann Hunding zu töten, widersetzt sich die Walküre aus Mitleid mit dem Paar. Die junge schwedische Sängerin Åsa Jäger gab in ihrem vibratoreichen dramatischen Sopran und mit unbändiger Spiellaune ein eindringliches Bild der mutigen Walküre, rettet Sieglinde und verhandelt vom Vater eine mildere Bestrafung. Dass Brünnhildes kompromisslos archaischer Mut ihren Schwestern eher abgeht, will Müller-Elmau im munteren Walkürenritt andeuten, den die Kriegerinnen in Babydolls und schwarzen Stiefeln, mit Zöpfen und dichten Toupetteilen vor strahlend heller Kulisse, auf langschenkligen Kettenschaukeln von der Decke baumelnd, ausgelassen genossen.
Am Anfang barg eine Vitrine Wotans Schwert Nothung, am Ende wird sie Brünnhildes rauchverzauberte Schlafkammer, in der ein furchtlos freiester Held die Walküre finden soll. Ein Höhepunkt, wenn Wotan sich von seiner innig geliebten Tochter abwenden muss: Michael Lions Bariton zurückgenommen in Rührung und nach einer kräfteraubendem Partie. Starke Eindrücke auf dem Weg durch den Nibelungen-Ring!