Gleich drei Ereignisse sorgten für Feierlaune und Aufbruch am oberfränkischen Landestheater Coburg: am Sonntag wurde das neue Globe Theater, Interims-Spielstätte während der Renovierung des alten, 1840 erbauten Großen Hauses am Schloss-Platz, nun auch für das Musiktheater in Betrieb genommen. Spektakulär die äußere Ansicht: Der runde Theaterbau ist inspiriert von Shakespeare’s Londoner Globe Theatre im Stadtteil Bankside, das seit 1997 dort ebenfalls, allerdings wie im Original als Freilufttheater, rekonstruiert wurde.

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Macbeth
© Eike Walkenhorst

Rund 1000 Elemente vertikaler Brettschichtholz-Lamellen, an einer vorgesetzten Stahlkonstruktion befestigt, ziehen sich um das gesamte Theater. Auf vier Ebenen umschließen lichtdurchflutete Foyers und Funktionsräume den Zuschauersaal; rund 400 Sitzplätze stehen in Parkett und Rängen für Opernaufführungen zur Verfügung. Ein großzügiger Orchestergraben und eine Bühnenbreite von zwölf Metern geben Raum auch für große Opernprojekte, wie die für März 2024 geplante Vollendung von Wagners Ring des Nibelungen. Und der erste Höreindruck im mit hellen Holzwänden eingefassten Aufführungsraum war fantastisch: Orchesterklang und Stimmen von der Bühne mischen sich ausgezeichnet!

Astrik Khanamiryan (Lady Macbeth) und Leonardo Lee (Macbeth) © Eike Walkenhorst
Astrik Khanamiryan (Lady Macbeth) und Leonardo Lee (Macbeth)
© Eike Walkenhorst

Mit Neil Barry Moss konnte auch ein neuer Operndirektor begrüßt werden. Nach seinem Studium der Musik- und Theaterwissenschaften in Kapstadt und Verona sowie Stationen in Pesaro, Hannover und der Deutschen Oper Berlin, wo er mit Das Rheingold auf dem Parkdeck ein vielbeachtetes Debüt gab, stellte er sich nun in Giuseppe Verdis Macbeth mit seiner ersten Neuinszenierung vor. Da passte es gut zusammen, dass Macbeth zu den drei Opern gehört, die Verdi auf Stücke von William Shakespeare schrieb. Ein Triptychon gar entsteht dabei am Coburger Theater, das gleichzeitig auch eine neue Ballettproduktion Romeo und Julia sowie am Schauspiel Was ihr wollt offeriert. Da der Coburger Hof auf Grund der Hochzeit zwischen Prinz Albert und der englische Königin Victoria (1840) enge Beziehungen zu Großbritannien aufbaute, trifft dies gut den Geschmack vieler treuer Theaterbesucher.

Verdis Macbeth beschreibt die ins Mittelalter zurückgehende Schauergeschichte um das machthungrige Ehepaar Macbeth, das, durch Weissagungen ermutigt, um 1040 den schottischen König Duncan und seine Adligen umbringt, um selbst den Thron zu besteigen. Eine immer dichtere Blutspur zieht sich durch Shakespeares Stück; historisch wird, anders als im originalen Schauspiel, unter der Herrschaft von Macbeth, Duncans Cousin, von zunehmendem Wohlstand und Ruhe in Schottland berichtet. Selbst nach einer mehrmonatigen Pilgerreise nach Rom fand Macbeth bei seiner Rückkehr das Land noch immer friedlich vor. Verdi, vom dramatischen Ablauf der Handlung begeistert, schrieb im Auftrag des Teatro della Pergola in Florenz 1847 eine erste Fassung, die wenig Erfolg hatte. Gegenüber dem Schauspiel ließ er Duncan nur als stumme Rolle auf der Bühne agieren. Die revidierte Fassung inklusive Ballett-Einlage wurde 1865 im Théâtre-Lyrique in Paris erfolgreich aufgeführt; auf dieser (ohne Ballett) basiert auch die Coburger Inszenierung.

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Leonardo Lee (Macbeth)
© Eike Walkenhorst

Macbeth gilt als Verdis düsterste und dämonischste Schöpfung, gehört jedoch zu seinen gefragtesten Bühnenwerken trotz fehlender Liebesgeschichte oder tragischer Dreieckskonflikte. Das unterminiert zwar die Grundlage eines Belcanto, der ja intakte Gefühle musikalisch gestalten soll. Krankheit der Seele aber kennt keinen Schöngesang.

Neil Barry Moss hat Macbeth als abgründig schwarze Parabel auf Verführbarkeit und Vergänglichkeit von Macht in Szene gesetzt. Beide, König wie Lady Macbeth, sind fast immer ins Bühnengeschehen eingebunden. Blutrote Vorhänge und Lichtkegel prägen diese Szenen; rötliche Rauchschwaden wabern nicht nur zwischen den Akteuren, sondern auch durch das Publikum im Parkett. Da wäre weniger Bühnennebel mehr gewesen. Szenen mit friedlich feierndem Volk werden dann deutlich heller gezeichnet, berichten vom historischen Wohlstand der Schotten. Das unterstreicht auch die Kostümierung, die wertvoll gearbeitete Schottenröcke, Überwürfe in Schottenkaro, Pelzstolen und schwere Schottenmützen einsetzt. Das Bühnenbild, die Möglichkeiten des neuen Spielorts erst dezent nutzend, setzt nur wenige Elemente ein: Buschballen aus Hochlandheide fahren roboterhaft langsam über die Bühne, ein bäuerlicher Eichentisch ist Essplatz und Podium für markante Reden zugleich, senkrechte Röhrengruppen aus dem Plafond nehmen die äußere Optik des Hauses auf.

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Ana Naqe (Lady Macbeth) und Leonardo Lee (Macbeth)
© Constanze Landt

Moss fokussiert seine Personenregie auf das Herrscherpaar Macbeth; ihr Abgleiten in den Sumpf von Mord und Machtgier kommt beklemmend klar heraus. Manchmal friert das Agieren um die Macbeths herum ein, dann ersetzt auch die Drehbühne nicht die stockende Bewegung auf der Szene. Aus der Choroper wird ein Opernoratorium, in dem der fulminante Coburger Opernchor (Einstudierung Alice Lapasin Zorzit) beeindruckend seine Qualität bewies, danach auch spielerisch überzeugte.

Wie sollte man also die abgründige Sinnverzerrung der Herrscher, die Perversion der Gefühle in Töne fassen? Zwei exzellente Künstler zeichneten den moralischen Verfall des Macbeth-Paares. Leonardo Lee gelang es imposant, dem unsicheren wie machtwilligen König Statur zu geben; sein kraftvoller Bariton trug inneren Kampf sicher bis in die Momente des Wahns. Mit einer ganze Palette aus Intrigieren, Umgarnen und Vernichten trumpfte Astrik Khanamiryan in ihrer Rolle auf, mit ihrer wunderbar wandelbaren Mezzostimme überstrahlte sie, in fast zu edler gesanglicher Aura, die hervorragende Sängerschar. Insbesondere Gustavo López Manzitti als Macduff und Bartosz Araszkiewicz als Banco leuchteten solistisch aus der dramatischen Handlung heraus.

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Macbeth
© Constanze Landt

Die Philharmoniker des Landestheaters klangen anfangs recht rau aus dem noch ungewohnten Orchestergraben; im weiteren Verlauf formte GMD Daniel Carter einen dynamisch biegsamen, mit feinen Instrumentalsoli durchwirkten Orchesterklang, der Verdis musikalische Tonfälle intensiv und meisterhaft umsetzte.

Ein berührender Opernabend, zu dem einzelne Fans sogar in Kilt oder blutfarben bedruckten Kleidern erschienen und dessen Pause stilgerecht und doch überraschend von einem Dudelsackpfeifer beendet wurde.

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